An einer Wand lehnend saß Amy und studierte zum bestimmt einhundertsten Mal ihre Karten. Jedenfalls schien es so, doch in Wirklichkeit lauschte sie den Worten von Mr. Jingels. Der blonde Mann hatte sich die letzten paar Tagen praktisch nur in seiner Kabine aufgehalten und die Navigatorin hatte die ganze Zeit den Verdacht, dass irgendetwas mit diesem Mann nichts stimmte.
Durch Zufall hatte sie dann eine Stelle entdeckt durch die sie ohne Probleme Mr. Jingels belauschen konnte. Niemand kam auf die Idee, dass sie etwas Derartiges tat, da jeder sie sehen konnte und man ja normalerweise versucht nicht gesehen zu werden, wenn man jemanden belauschte.
„Glaubst du nicht, dass früher oder später jemand auf die Idee kommen könnte mir dir zu reden und das dieser Kerl dann bemerkt wie dünn und hellhörig diese Wand ist?“, fragte Merry, während sie kopfüber vor ihr herum schwebte. Amy schüttelte den Kopf und murmelte leise: „Ich bezweifle es… Die Zwillinge sind damit beschäftigt zu überlegen wie sie die übers Ohr hauen können und Kosow ist am Trainieren. Die Grünhaarige, der alte Mann und die einbeinige Frau werden mich sicherlich auch nicht ansprechen. Außer dir gibt es also niemanden dem ich antworten muss.“
Sie sah das Geistermädchen vielsagend an. Diese seufzte laut. „Ich versteh schon… Dann brauch ich wohl in der nächsten Zeit keine Antwort zu erwarten.“ Amy nickte. „Toll.“
Den Rest des Tages saß die Braunhaarige schweigend vor der Wand, tat so als ob sie ihre Karten betrachtete und belauschte Mr. Jingels. Als es Nacht wurde verschwanden alle außer ihr in ihren Kabinen. Amy legte ihre Karten zur Seite und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Abgesehen vom mehr oder weniger gleichmäßigen Rauschen der Wellen gab es keinerlei Geräusche auf dem Schiff. Selbst Mr. Jingels schien sich zu Bett begeben zu haben, denn die junge Navigatorin hörte nichts mehr aus dem Raum. Mit einem Seufzen stand Amy auf und begab sich ebenfalls in ihre Kabine, allerdings eigentlich nur um ihre Karten zu verstauen. Doch nachdem sie ihre Karten in ihren Rucksack gepackt hatte und sich zu ihrer Kabinentür umdrehte, musste sie feststellen das Mr. Jingels in ihrer Kabine stand. Überrascht sah sie ihn an. „Abend.“, begrüßte sie ihn nach ein paar Augenblicken irritierten Schweigens. „Ich dachte der schläft.“ Nicht nur Merry war davon ausgegangen, dass der Blonde schlief, sondern auch Amy. Offensichtlich waren aber beide eines besseren belehrt worden.
Die Braunhaarige sah Mr. Jingels fragend an. "Wieso sind Sie so spät noch wach? Wäre es nicht besser, wenn Sie so viel wie möglich schlafen um sich von ihren Verletzungen zu erholen?" Natürlich konnte sie nicht wissen was in so einem Falle wirklich das Beste war und vor allem auch nicht wie schnell die Wunden des Mannes geheilt waren, doch in ihren Augen war es das, was jeder Arzt ihm raten würde, auch wenn sie selbst keiner war. Der Mann lachte und lehnte sich an ihre Tür. Eine leichte Fahne ging von ihm aus. "Oooch, ich wollte nur mal rumschauen und wieso bist du noch wach?", fragte er mit einem Lächeln, wobei er beinahe zu Boden fiel, sich aber gerade noch fangen konnte. Der Blick der jungen Frau wanderte durch ein kleines Bullauge hinaus auf das Meer. „Ich schlafe nachts so gut wie nie.“, entgegnete sie auf seine Frage. Kurz schwiegen beide, doch dann schlich sich ein leichtes Lächeln auf Amys Gesicht. "Ich bin praktisch die Nachtwache. Damit niemand auf die Idee kommt uns nachts anzugreifen." Der Körpers des Mannes straffte sich und er schwankte erneut, jedoch nicht so wie davor. In diesem Augenblick legte er seine Rolle als Mr. Jingels ab und leichter Wahnsinn leuchtete in seinen Augen auf. "Vor Menschen wie MIR?"
Überrascht von dem wahnsinnigen Blick verkrampfte sich die junge Frau und sie musste den Impuls unterdrücken ihren Angriffspfeil erscheinen zu lassen. Ihre Stimme hatte einen misstrauischen Unterton, als sie "Vielleicht." erwiderte. "Wollen Sie uns denn angreifen?" Mr. Jingels erschien ihr nicht wie jemand der eine Gefahr darstellen könnte, auch im besoffenen Zustand nicht, allerdings hatte sie bereits bei ihrem Aufeinandertreffen am Hafen das Gefühl gehabt als wenn irgendetwas nicht mit diesem Mann stimmte. Außerdem war sie selbst ja das beste Beispiel dafür, dass der Schein trügen konnte.
Der Betrunkene setzte sich an den Tisch der Navigatorin und legte seine Hand auf diesen. Er drückte leicht und, ohne das der Mann große Anstrengungen zeigte, bogen sich die Beine durch. "Wäre es nicht witzig… hahahaha... wenn es gar kein Erbstück geben würde? Wenn es in meiner Hand läge", bei diesen Worten gaben die Tischbeine beunruhigende Geräusche von sich, hielten jedoch stand. Amy brauchte keinen weiteren Beweis mehr dafür, wie stark ihr Gegenüber wirklich war. "Wer auf diesem Schiff stirbt und wer nicht...doch es scheint mir, als sei ich nicht der einzige, der nicht mit offenen Karten spielt?!" Der jungen Frau gefiel es ganz und gar nicht, dass Mr. Jingels womöglich wusste, dass sie in Wirklichkeit keine kleine Piratennavigatorin war. "Ich für meinen Teil würde das ganz und gar nicht witzig finden. Meine beiden Kapitäne sicherlich auch nicht.", antwortete sie ihm dennoch ehrlich. „Wenn es stimmt was Sie sagen… was würde für Sie dabei rausspringen, wenn Sie wissen was ich verberge?“ Der Mann brach in lautes Lachen aus, bis ihm die Tränen kamen. Erschrocken von seinem plötzlichen Lachen zuckte Amy zusammen. "Für dich du. Noch kann ich nichts von dir bekommen. Aber du hast viel Potential. Diese Kraft die du hast, stammt von einer Teufelsfrucht?" Als er dieses Wort sagte, klang es beinahe so als könne es ihn verletzen. Die junge Frau nickte auf seine Frage. "Das stimmt.", antwortete sie. "Es wäre auch seltsam, wenn ich diese Fähigkeiten bereits von Geburt an besitzen würde." Vorsichtig trat Amy näher an den Tisch heran, passte jedoch auf, dass sie außerhalb der Reichweite des Blonden blieb. "Also sind sie gar nicht auf der Suche nach einem Erbstück?", fragte sie ihn, denn auf etwas anderes ließen seine Worte nicht schließen. Allerdings schien Mr. Jingels nicht auf diese Frage antworten zu wollen, denn auf einmal wanderte seine Hand zum Gesicht und mit Entsetzen musste Amy mit ansehen, wie sich die Finger in den Schädel bohrten, als gäbe es keinen Widerstand. Die Tatsache jedoch, dass keinerlei Blut floss beruhigte die junge Frau etwas, auch wenn die nächste Aktion des Mannes nicht gerade besser war.
Er zog zuerst das eine Auge, dann das andere heraus, woraufhin die beiden an zwei langen Stängeln herumwackelten. Dann legte sich der Mann auf den Boden und mit einem Mal wurden sein Rücken und Hintern dicker. "Ich bin eine Zauberschnecke!"
Mehr als nur leicht irritiert sah sie das Schneckenwesen an. "Er hat scheinbar auch Teufelskräfte.", stellte Merry fest. Die Tatsache, dass sie ohne groß weiter darüber nachzudenken laut auf die Feststellung des Geistermädchens reagierte, zeigte wie sehr diese Aktion die junge Navigatorin aus der Bahn geworfen hatte. „Ich seh’s.“ Zum Glück konnte man diese beiden Worte auch so auslegen, als wenn Amy auf die Worte der „Schnecke“ reagiert hatte, denn ansonsten hätte ihr Gegenüber sehr stutzig werden müssen.
"Hihihi....natürlich nur Spaß." Der Blonde verwandelte sich wieder zurück in sein menschliches Selbst und setzte sich erneut an den Tisch. "Ich bin Tedd Warrenby. Und ich bin interessiert an Menschen mit Teufelskräften. Ich glaube uns ist etwas vorherbestimmt. Auch Blanche und Lyonel, die wahren Namen meiner Gefährten haben solche Kräfte..." Daraufhin schwieg er und ließ seine Worte erst einmal wirken, in der Hoffnung eine gewisse Wirkung erzielen zu können. „Ich glaub ich kann nie wieder an einer Schnecke vorbeilaufen, ohne an diesen Kerl denken zu müssen…“, dachte sich Amy und schwieg ebenfalls kurz. Dann jedoch entschied sie, dass es, nach dieser Offenbarung seitens Mr. Warrenby, nicht schaden könnte ihm ebenfalls zumindest ein wenig von sich selbst preis zu geben. "Amy LaPazza. Ich bin nach wie vor Navigatorin, allerdings keine Piratin, sondern Kopfgeldjäger." Dabei ließ sie wohlweislich Merry aus und auch die Tatsache, dass sie noch dazu Geschichtenerzählerin war. Schließlich musste man ja nicht gleich übertreiben und der Blonde hatte sicherlich auch nicht alles erzählt.
Anscheinend reichte das dem Mann nicht aus, denn er fragte weiter: "Was ist dein Ziel?"
"Soviele Piraten wie möglich töten, natürlich.", antwortete sie prompt. "Sie haben keinerlei Recht dazu unschuldige Menschen auszurauben und dabei womöglich noch umzubringen."
"Hmmm", kam es von Tedd und Amy war sich nicht sicher was dieses Geräusch zu bedeuten hatte. Bedeutete es etwas Gutes oder etwas Schlechtes für sie? "Vergiss nicht die Marine und die Weltregierung." Die Navigatorin nickte, wenn auch zögernd, immerhin sorgte die Marine dafür, dass sie für die abgelieferten Piraten bezahlt wurde. "Stimmt... Vieles was sie tun ist auch unrecht.", musste sie dann jedoch zugeben und das nicht nur, weil man es der Marine in ihrer Heimat verboten hatte eine Basis zu errichten und in das örtliche Geschehen einzugreifen.
Amy legte den Kopf leicht zur Seite. Sie verriet gerade einiges über ihre Pläne, also sollte der Blonde ebenfalls etwas über seine verraten. "Was ist Ihr Ziel? Außer Leute mit Teufelskräften zu finden und für sich zu gewinnen?"
"Ich werde dir nicht alles erzählen. Aber ich bin niemand, der diese Leute versammelt, um dann eine riesige Party zu feiern. Okeeey, dass natürlich auch! Hmmm... hmmmm... hmm. Du musst dich erst einmal beweisen. Zumindest kann ich dir so viel verraten, dass du mit niemandem anderes so viele Piraten vernichten kannst, wie bei mir. Wir werden sehen. Allerdings muss ich dich nicht darauf hinweisen, den Zwillingen nichts von dieser...kleinen Unterredung zu erzählen?", entgegnete Mr. Warrenby. Die junge Frau seufzte leise. "Verstehe... Hätte mich auch verwundert, wenn sie mir einfach so ihren Plan anvertrauen würden.", gab sie zu. Dann entwich ihr plötzlich ein kurzes Lachen. "Eher würde ich freiwillig über Bord springen, als das ich den beiden davon erzähle. Sie brauchen sich also keine Sorgen deswegen zu machen."
"Du… bitte." Der Mann setzte ein heiteres Grinsen auf, lehrte eine ungeöffnete Weinfalsche, die unter ihrem Tisch stand und welche sie wohl nie getrunken hätte, und gab ihr dann noch einen Rat mit auf den Weg. "Hey fang an zu saufen!" Er erhob sich, zwinkerte Amy zu und verschwand dann durch die Tür aus ihrer Kabine.
„Was für ein komischer Kerl…“, murmelte die junge Navigatorin, bevor sie ebenfalls ihre Kabine verließ und es sich im Ausguck des Schiffes bequem machte. Dort blieb sie den Rest der Nacht und unterhielt sich leise mit Merry.
Immerhin wusste sie nun, dass sie sich nicht getäuscht hatte und wirklich mehr hinter dem Blonden und seinen Anhängseln steckte.