Obgleich es stickig und feucht in dem kleinen Raum war, dachte Tubalcaine Alhambra nicht daran, sich sein Sakko auszuziehen.
Schon den ganzen Nachmittag über hockte der ‚Dandy’ in dem muffigen Hinterzimmer einer seiner Stammhafenkneipen, dem ‚Stinkenden Eber’, und war damit beschäftigt gewesen, seinen Gegenüber im Black-Jack zu schlagen. Immer wieder wieselte der Blick von Tubalcaine’s Mitspieler mal hier hin, mal dort hin, während er sich mit einem schmutzigen Lappen dicke Schweißtropfen vom fast kahlen Schädel wischte.
Alhambra vermutete, dass es sich bei besagtem Stofffetzen wohl um ein Taschentuch oder ähnlichen handeln musste, doch so genau wollte er es auch gar nicht wissen…
Widerlich…
„Ich…ich nehm’ noch eine…!“, schnaubte der dicke Mann plötzlich und traktierte mit seinen tiefliegenden Schweinsäuglein beschwörend den Kartenstapel zu Tubalcaine’s linken.
„Ja, Sir, wie sie wünschen…“, antwortet Alhambra mit lässiger Stimme. Alsgleich hob Tubalcaine die oberste Karte vom Stapel und legte diese aufgedeckt in die Nähe der anderen, bereits auf dem Tisch ausgebreiteten Spielkarten.
„Es sieht so aus, als könnten sie dieses Mal gewinnen, Sir“, stellte Tubalcaine fest und ließ es absichtlich zu, dass sich ein aufmunternder Ton unter seine Stimme legte, „Schauen Sie nur, jetzt haben wir beide achtundzwanzig – noch eine Karte, ja?“
Alhambra’s Spielpartner freute sich anscheinend sehr über seine Glücksträhne und zeigte ein zittriges Lächeln.
Auch Tubalcaine legte ein Grinsen auf, jedoch freute er sich nicht über sein Kartenblatt. Vielmehr amüsierte es Alhambra, mit anzusehen, wie sich ein Mann, der bereits so gut wie alles verloren hatte, Hoffnungen machte.
Wie schon gesagt: Es war stickig und heiß in diesem kleinen Kämmerchen. Außerdem
Hatte Tubalcaine’s Spielpartner nicht gerade den Blümchenduft erfunden – er stank mindestens zehn Meilen gegen den Wind.
Aber zu sehen, wie sich dieser müffelnde, nervöse Klumpen Mensch an seine Letzte Hoffnung klammerte, nicht doch noch seine letzten Berry in einem Black-Jack Spiel zu verlieren, machte das alles mehr als wett.
„Haben sie sich entschieden, Sir? Noch ist unentschieden…? Möchten sie noch eine Karte, Sir? Sir…?“, hakte Tubalcaine nach, bis sein Mitspieler schließlich einbrach und mit ‚ja’ antwortete.
Auf diesen Moment hatte Alhambra gewartet. So ruhig und gelassen wie immer hob er die oberste Karte vom Stapel ab…und wie erwartet deckte Alhambra eine Karo-zehn auf – wie so oft hatte er zuvor einfach eine spezielle Mischtechnik angewandt und somit effektiv die Kartenreihenfolge beeinflusst…
Zugegeben, ein simpler Trick, ein einfacher Streich vielmehr, aber dennoch ausreichend, um einen Amateur wie diese Qualle zu schlagen…
Tubalcaine schnappte sich seinen Stapel Spielkarten und ließ ihn, zusammen mit dem Säckchen voller Berry und anderer Wertgegenstände, in seiner linken Sakkotasche verschwinden. „Hat mich gefreut, Sir, ich wünsche noch einen schönen Aufenthalt.“, grinste Tubalcaine und wollte gerade seinen Hut vom Tisch nehmen und sich aus seinem unbequemen Stuhl erheben, als der dicke Mann eine Pistole zog!
„Nicht so hastig, du Betrüger…!“, grunzte Tubalcaine’s Gegenüber […]
Plötzlich wurde mit einem lauten Knall die marode Tür nahe dem westlichen Tresenkante aufgestoßen! Ein fetter, verschwitzter Mann purzelte, samt eines alten Holzstuhls, mit einer unbeholfenen Rückwärtsrolle aus dem kleinen Raum heraus, welchen die aufgestoßene Tür bis eben noch verborgen gehalten hatte. Noch ehe der der Gestürzte auf die Beine gekommen war, fluchte und schrie er wie am Spieß: „Betrüger, elender!? Du Scheißkerl, ich mach dich alle! Alle, hörst du?!“ Mit diesen Worten auf den Lippen und vor Anstrengung schnaufend stützte sich der dicke Mann auf einem seiner Knie ab und drückte seinen vor Schweiß triefenden Körper, scheinbar mit all’ seiner Kraft, in einen mehr oder weniger stabilen Stand.
Viele der Anwesenden kümmerten sich gar nicht um den wütenden Fleischberg und seine Schimpfe – Stattdessen tranken Sie weiter ihre zimmerwarmen Spirituosen.
„Pardon, Mister, es sieht so aus, als seien Sie … hingefallen?“, klang eine seidige Männerstimme, auf eine mysteriöse Art und Weise gleichzeitig penetrant aber dennoch höflich, aus dem beinahe völlig im Dunkeln liegen Kämmerchen, aus welchem der fluchende Mann gepurzelt war.
Anscheinend befand sich noch jemand dort drinnen – doch bevor dieser Jemand auch nur einen Fuß in das matte Licht der Ladenbeleuchtung setzten konnte, brüllte der dicke Mann erneut wilde Beschimpfungen und richtete eine Kanone auf die Person im Türrahmen!
Nun reagierten die anwesenden Polizeistreifen: Alle vier schnappten sich den kreischenden Fleischklops auf einmal und entwaffneten ihn spielend! Zwar tobte der so eben gefangen genommene noch eine ganze Weile, doch in dem Augenblick, in welchem zwei der Wachleute ihn nach draußen geschleppt hatten, wurde es wieder vergleichsweise still in dem Lokal. Tatsächlich war es für einen kurzen Augenblick beinahe totenstill und man konnte genau hören, wie sich die mysteriöse Person, welche so arg von dem vor Wut tobenden Mann beschimpft worden war, in Bewegung setzte: Das Holz der Bodendielen knarrte leicht unter den festen Schritten des Unbekannten und als dieser dann endlich in das Zwielicht der kleinen Kammer verlassen hatte, räusperte sich Baldoon und schüttelte ärgerlich mit dem Kopf: „Hay, hay, Dandy, lass’ in Zukunft meine Einrichtung ganz! Unten bei den Seefahrerkneipen am Hafen kannst du solche Nummer abziehen, aber nicht bei mir! …bitte…?“ Das ‚bitte’ drückte sich Baldoon noch rasch heraus, als er bemerkte, dass ihn die zwei zurückgebliebenen Polizeistreifen für einen Moment lang argwöhnisch ansahen.
Der pickfein gekleidete Fremde schnalzte mit seiner Zunge, ehe er sich sein hellbraunes Sakko zurechtrückte. Dazu griff er sich geübt ans Revers und zog ein, zwei Mal daran – kaum hatte der ominöse Fremde diesen Handgriff erledigt zog er sich noch seine schneeweißen Glacèhandschuhe zu Recht. Zu guter letzt wanderte sein Griff gen Kopf, auf welchem er einen schicken Panamahut tief in das eigene Gesicht gezogen trug. Dieser schien exakt dieselbe Farbe zu haben, wie auch das Sakko oder aber die elegante, fein geschnittene Hose des adretten Mannes.
All dies geschah in nur wenigen Augenblicken und wirkte geübt und kontrolliert […]
Baldoon stupste Elisa leicht mit seinem Arm an, als er bemerkte, dass diese nicht den Blick von dem Fremden lassen konnte. Der bärtige Barbesitzer flüsterte dem Mädchen zu, während er emsig ein Glas zu polieren begang: „Tubalcaine Alhambra – Ein schmieriger Typ, kann ich dir sagen. Halt dich lieber fern von ihm, wenn du weist was gut für dich ist! Im Hafenviertel ist er bekannt wie ein bunter Hund und man munkelt, er würde auf du-und-du mit dem König sein…und seit ein Paar Tagen schon kommt er regelmäßig hier her, und vergrault mir alle meine Kunden von außerhalb. Also…du weist schon, Seefahrer und so. Er betrügt sie beim Spiel, irgendwie, keine Ahnung, ich konnte jedenfalls noch nie erkennen, wie er das macht – na ja, kann mir auch egal sein, würden seine ‚Freunde’ nicht immer im Wutanfall meinen Laden zerlegen!? … Jedenfalls kommt er regelmäßig hier her und hat immer eine Hand voll der Königlichen Ordnungshüter da im Schlepptau…“
Missmutig wanderte Baldoons Blick zu dem Tisch der Polizeistreife, an welchen sich Tubalcaine inzwischenebenfalls gesetzt hatte – der Mann im Anzug legte gerade seine Beine auf den runden Tisch. Tubalcaines sauber polierte Schuhe stachen sofort ins Auge, da sie in einem solchen Kontrast zu dem abgenutzten Tisch standen.
Lässig begann Alhambra dann auch noch zu kippeln und zog nach einer kurzen Weile einen abgegriffenen Kartenstapel aus einer Tasche seines vornehmen Sakkos. Er mischte mal auf die eine, mal auf eine andere Weise seine Spielkarten durch und schien auf irgendetwas zu warten.