Agwe
Kopfgeldjäger Boss
Der Abschied von Haydee war Agwe schwer gefallen – aber natürlich ließ der Voodoopriester sich das nicht anmerken. So wie Tako, der ewige Glücksspieler musste er das Leben halt so nehmen, wie es kam, und darauf vertrauen, dass Papa Legba, der Herr der Wegkreuzungen, sie dereinst wieder zusammenführen würde. Und bis dahin war ja auch niemandem geholfen, wenn er traurig und in sich gekehrt dahinvegetierte. Außerdem hatte er ja schließlich noch den Rest seiner Crew, um den er sich kümmern musste. Zeit um Trübsal zu blasen hatte er da nicht wirklich.
“Momo, behalt' die Wellen im Auge. Enrico, die Hühner sind ein wenig nervös, sieh' mal nach, was sie wollen. Edward, man... äh... tu' einfach, was du so tust.“ Um ehrlich zu sein verstand Agwe nie so ganz, was sein ungläubiger Freund gerade bastelte oder machte und so hatte er mittlerweile auch jeden Versuch aufgegeben, es zu verstehen. Sicher war nur, dass Ogoun, der Herr des Eisens, sicherlich seine Freude an Edwards Kreationen hatte, auch wenn der Brillenträger sämtliche Worte von Agwe in diese Richtung vermutlich knallhart geleugnet hätte. Noch. Wenn die Zeit reif war, würde auch der zu den Loa finden, aber Agwe hatte da keine Eile. “Nur der Dumme eilt seinem Ziel entgegen, man. Der weise Mann weiß, dass die Loa schon alles richten werden und so eilt er sich nicht, aber er legt sich auch nicht auf die faule Haut. Stattdessen tut er, was er kann, ohne sich dabei übermäßig zu verausgaben. Diese Balance zu finden ist schwer, man, aber du hast ein Gespür dafür, das hab' ich in den Knochen“ hatte sein Großvater ihm einmal gesagt. Seltsam, wie oft Agwe in letzter Zeit an ihn dachte. Er würde die Tarotkarten dazu befragen müssen. Warum eigentlich würde? Im Moment war niemand an Bord ernsthaft krank, die Wetterlage schien ruhig und Momo schien kein Land weit und breit entdecken zu können. Jetzt war die Zeit nahezu wie gemacht dafür, einmal die Tarotkarten zu befragen, was sie in der Zukunft des Mojo Bunches sahen.
“C'mon, here we go...“ Mit geübten Fingen mischte Agwe die abgewetzten Karten, welche schon durch zahllose Hände gewandert waren. Michelle Laveau hatte sie bei seiner legendären Weissagung über die Namen der Loa genutzt, die stumme Priesterin Havannah hatte mit ihnen erfahren, wie sie ihre Stimme wiedererlangen konnte und sie hatten Agwe auf die Visionsqueste geführt, die ihm schließlich zu seinen Teufelskräften verholfen hatte. Sicherlich, sie waren alt, die Farbe blätterte von ihnen ab, bei manchen konnte man die Bilder nur noch verschwommen erkennen. Aber die Loa hatten sie gesegnet und so war ihre Macht immer noch da und durch die zahllosen Gebrauchsspuren womöglich noch größer geworden. Sie würden Agwe den richtigen Weg weisen, das wusste er. Und so begann er, zu legen.
Als erstes zog Agwe den Narren. Ein vom Namen her negatives Symbol, doch lag er aufrecht, also stand er für Neugierde, Abenteuerlust und den Beginn einer neuen Reise. Das war gut. Es zeigte, dass die Reise des Bunches noch nicht zu Ende war. Dass sie im Gegenteil womöglich noch nicht einmal richtig begonnen hatte.
Die zweite Karte war das Rad des Schicksals, ebenfalls in der aufrechten Position. Das zeigte Veränderung an, die unvorhersehbar war, jedoch in Gestalt der nächsten Karte erscheinen mochte. Auch verlieh sie dem Narren eine neue Richtung: Die Reise, auf der sie sich befanden, würde bald einen wichtigen neuen Punkt erreichen, der über Wohl und Wehe entscheiden mochte. Tarotkarten, das hatte Agwe früh gelernt, waren keine für sich allein stehenden Identitäten, sondern unterlagen komplexen Wechselwirkungen, die ganze Bücher füllen konnten, wollte man sie angemessen beschreiben.
Dementsprechend entfaltete auch die dritte Karte eine gänzlich neue Bedeutung. Es war der Tod, in der absteigenden Position, ein Zeichen, dass ihnen mächtige Feinde im Weg stehen würden. Feinde, die einen wichtigen Teil ihres Weges darstellen würden, keine Frage, doch sie konnten ihn ebenso schnell beenden. Gerade junge Tarotleger machten häufig den Fehler, den Tod als durchweg negative Karte zu begreifen, doch das war nicht richtig. Er konnte durchaus für ein notwendiges Ende stehen, etwas, das über seine Zeit hinaus existierte oder mehr Schaden als Nutzen brachte, doch in der abwärtsgewandten Legung stand der Tod für ein vorzeitiges Ende, das die von den anderen Karten angekündigte Reise unterbrechen konnte. Auf diesen Sensenmann würde er Acht geben müssen.
Agwe brütete immer noch über den drei Karten, die er gezogen hatte, als Momos Stimme ihn aus diesen Grübeleien riss. “LAAAAAND IN SICHT!“ Nun, weiter zu überlegen würde auch nichts bringen. Er konnte sich genau so gut ansehen, worauf sie da zusteuerten. Alles weitere würde sich schon ergeben, wenn die Loa befanden, dass die Zeit reif dafür war. “Comin', man.“
Als Agwe nach draußen trat, verschlug ihm der Anblick fast die Sprache. Was da für eine Insel zu sehen war, hätte er sich in seinen kühsten Träumen nie ausmalen können. Sie war verhältnismäßig klein, sogar noch kleiner als Black Lung, doch zwei Dinge fielen an ihr sofort ins Auge. Zum einen war da der massive Berg, augenscheinlich ein Vulkan, wenn man nach dem abgeschnittenen Kegel ging, der die Grundform dieses Gebirgsmassivs formte, doch das war nicht weiter auffällig, viele Inseln hatten so etwas. Nein, stattdessen fiel auf, dass auf diesem Berg etwas wucherte, das aussah wie ein weißes Gebilde aus Kristall.
Direkt vor dem Berg hingegen lag eine Stadt, der Größe nach zu urteilen wohl die einzige auf dieser Insel – oder jedenfalls die mächtigste, denn neben ihr würde kaum etwas anderes auf diesen Flecken Landschaft passen. Diese Stadt sah aus, als hätte man sie aus Glas und Metall erbaut, ein Trabant an Eleganz und Effizienz. Zwar konnte Agwe von hier aus nur Umrisse und Schemen erkennen, aber was er sah, war beeindruckend. Hier regierte der Fortschritt, das sah man sofort. Diese Stadt war sauber, aufgeklärt, hatte vermutlich eine gegen null gehende Kriminalität und ihre Bewohner waren vermutlich eingefleischte Wissenschaftler, die ihre Kinder schon früh zur Schule schickten, damit sie genau so wurden wie sie: Aufgeklärt, zielstrebig und erfolgreich.
Agwe atmete den Rauch seines Zigarillos aus, welcher sich wie eine bläulich-weiße Schlange in die Luft erhob und davonwehte. “Kurs halten, man“, befahl er, ehe er, eher an sich selbst gewandt, hinzufügte: “Ich werde diese Insel hassen, man. Can see it already.“
“Momo, behalt' die Wellen im Auge. Enrico, die Hühner sind ein wenig nervös, sieh' mal nach, was sie wollen. Edward, man... äh... tu' einfach, was du so tust.“ Um ehrlich zu sein verstand Agwe nie so ganz, was sein ungläubiger Freund gerade bastelte oder machte und so hatte er mittlerweile auch jeden Versuch aufgegeben, es zu verstehen. Sicher war nur, dass Ogoun, der Herr des Eisens, sicherlich seine Freude an Edwards Kreationen hatte, auch wenn der Brillenträger sämtliche Worte von Agwe in diese Richtung vermutlich knallhart geleugnet hätte. Noch. Wenn die Zeit reif war, würde auch der zu den Loa finden, aber Agwe hatte da keine Eile. “Nur der Dumme eilt seinem Ziel entgegen, man. Der weise Mann weiß, dass die Loa schon alles richten werden und so eilt er sich nicht, aber er legt sich auch nicht auf die faule Haut. Stattdessen tut er, was er kann, ohne sich dabei übermäßig zu verausgaben. Diese Balance zu finden ist schwer, man, aber du hast ein Gespür dafür, das hab' ich in den Knochen“ hatte sein Großvater ihm einmal gesagt. Seltsam, wie oft Agwe in letzter Zeit an ihn dachte. Er würde die Tarotkarten dazu befragen müssen. Warum eigentlich würde? Im Moment war niemand an Bord ernsthaft krank, die Wetterlage schien ruhig und Momo schien kein Land weit und breit entdecken zu können. Jetzt war die Zeit nahezu wie gemacht dafür, einmal die Tarotkarten zu befragen, was sie in der Zukunft des Mojo Bunches sahen.
“C'mon, here we go...“ Mit geübten Fingen mischte Agwe die abgewetzten Karten, welche schon durch zahllose Hände gewandert waren. Michelle Laveau hatte sie bei seiner legendären Weissagung über die Namen der Loa genutzt, die stumme Priesterin Havannah hatte mit ihnen erfahren, wie sie ihre Stimme wiedererlangen konnte und sie hatten Agwe auf die Visionsqueste geführt, die ihm schließlich zu seinen Teufelskräften verholfen hatte. Sicherlich, sie waren alt, die Farbe blätterte von ihnen ab, bei manchen konnte man die Bilder nur noch verschwommen erkennen. Aber die Loa hatten sie gesegnet und so war ihre Macht immer noch da und durch die zahllosen Gebrauchsspuren womöglich noch größer geworden. Sie würden Agwe den richtigen Weg weisen, das wusste er. Und so begann er, zu legen.
Als erstes zog Agwe den Narren. Ein vom Namen her negatives Symbol, doch lag er aufrecht, also stand er für Neugierde, Abenteuerlust und den Beginn einer neuen Reise. Das war gut. Es zeigte, dass die Reise des Bunches noch nicht zu Ende war. Dass sie im Gegenteil womöglich noch nicht einmal richtig begonnen hatte.
Die zweite Karte war das Rad des Schicksals, ebenfalls in der aufrechten Position. Das zeigte Veränderung an, die unvorhersehbar war, jedoch in Gestalt der nächsten Karte erscheinen mochte. Auch verlieh sie dem Narren eine neue Richtung: Die Reise, auf der sie sich befanden, würde bald einen wichtigen neuen Punkt erreichen, der über Wohl und Wehe entscheiden mochte. Tarotkarten, das hatte Agwe früh gelernt, waren keine für sich allein stehenden Identitäten, sondern unterlagen komplexen Wechselwirkungen, die ganze Bücher füllen konnten, wollte man sie angemessen beschreiben.
Dementsprechend entfaltete auch die dritte Karte eine gänzlich neue Bedeutung. Es war der Tod, in der absteigenden Position, ein Zeichen, dass ihnen mächtige Feinde im Weg stehen würden. Feinde, die einen wichtigen Teil ihres Weges darstellen würden, keine Frage, doch sie konnten ihn ebenso schnell beenden. Gerade junge Tarotleger machten häufig den Fehler, den Tod als durchweg negative Karte zu begreifen, doch das war nicht richtig. Er konnte durchaus für ein notwendiges Ende stehen, etwas, das über seine Zeit hinaus existierte oder mehr Schaden als Nutzen brachte, doch in der abwärtsgewandten Legung stand der Tod für ein vorzeitiges Ende, das die von den anderen Karten angekündigte Reise unterbrechen konnte. Auf diesen Sensenmann würde er Acht geben müssen.
Agwe brütete immer noch über den drei Karten, die er gezogen hatte, als Momos Stimme ihn aus diesen Grübeleien riss. “LAAAAAND IN SICHT!“ Nun, weiter zu überlegen würde auch nichts bringen. Er konnte sich genau so gut ansehen, worauf sie da zusteuerten. Alles weitere würde sich schon ergeben, wenn die Loa befanden, dass die Zeit reif dafür war. “Comin', man.“
Als Agwe nach draußen trat, verschlug ihm der Anblick fast die Sprache. Was da für eine Insel zu sehen war, hätte er sich in seinen kühsten Träumen nie ausmalen können. Sie war verhältnismäßig klein, sogar noch kleiner als Black Lung, doch zwei Dinge fielen an ihr sofort ins Auge. Zum einen war da der massive Berg, augenscheinlich ein Vulkan, wenn man nach dem abgeschnittenen Kegel ging, der die Grundform dieses Gebirgsmassivs formte, doch das war nicht weiter auffällig, viele Inseln hatten so etwas. Nein, stattdessen fiel auf, dass auf diesem Berg etwas wucherte, das aussah wie ein weißes Gebilde aus Kristall.
Direkt vor dem Berg hingegen lag eine Stadt, der Größe nach zu urteilen wohl die einzige auf dieser Insel – oder jedenfalls die mächtigste, denn neben ihr würde kaum etwas anderes auf diesen Flecken Landschaft passen. Diese Stadt sah aus, als hätte man sie aus Glas und Metall erbaut, ein Trabant an Eleganz und Effizienz. Zwar konnte Agwe von hier aus nur Umrisse und Schemen erkennen, aber was er sah, war beeindruckend. Hier regierte der Fortschritt, das sah man sofort. Diese Stadt war sauber, aufgeklärt, hatte vermutlich eine gegen null gehende Kriminalität und ihre Bewohner waren vermutlich eingefleischte Wissenschaftler, die ihre Kinder schon früh zur Schule schickten, damit sie genau so wurden wie sie: Aufgeklärt, zielstrebig und erfolgreich.
Agwe atmete den Rauch seines Zigarillos aus, welcher sich wie eine bläulich-weiße Schlange in die Luft erhob und davonwehte. “Kurs halten, man“, befahl er, ehe er, eher an sich selbst gewandt, hinzufügte: “Ich werde diese Insel hassen, man. Can see it already.“
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