Langsam blätterte der Mann in seiner Zeitung, neben ihm, auf einem kleinen Schemelchen stehend, eine dampfende Tasse frischen Tees, Earl Grey natürlich, mit passender Kanne und einigem Gebäck, ebenfalls auf einem farblich abgestimmten Tellerchen drapiert. Ab und zu nahm der Mann einen Schluck von der Tasse, nur ein kleines Nippen, um sich nicht zu verbrennen, das Gebäck allerdings blieb unangetastet, so, als hätte es der Teetrinker nur dort hingestellt, um einer gewissen Tradition zu entsprechen. Etwas zu dem Aussehen des Mannes: Er ist hochgewachsen, dünn, und hat, so zeigt jedenfalls der leichte Bart an seinem Kinn, die Teenager-Zeit hinter sich gelassen. Das lange, lockige Haar ist zu einem Pferdeschwanz gebunden, was es jedoch nicht daran hindert, der Gestalt ins Gesicht zu fallen und so die Hälfte von eben jenem zu verdecken. Der Blick gleitet weiter an ihm herunter und fällt auf die exquisite Kleidung. Ein weißes Hemd mit gleichfarbigem Schal, eine rote Weste mit Silbernem Kettchen, das auf eine Taschenuhr hinweist und eine schwarze Anzughose. Die Hände des Mannes ungewöhnlich vernarbt, anscheinend hat er viel mit Messern zu tun. Wer sich nun fragt, mit welcher Tätigkeit dieser mysteriöse Teetrinker sein Brot verdient, der muss seinen Blick nur auf das Schild werfen, das über der Ladentür des Geschäftes hängt, vor dem es sich der Mann gemütlich gemacht hat. „Barbier“, steht da in verblichenen Buchstaben und eine große Holzschere hängt unter dem Schriftzug, schließlich gibt es auch Kunden die nicht lesen können. Sogar eine schmutzige „Barberpole“, eine von diesen rotweißen Säulen, rotiert an einer Wand des Ladens. Durch die von der Luft verschmierten Fenster lassen sich nur vage Stühle, Spiegel und Waschbecken ausmachen, etwas weiter, auf einem großen Tisch, liegen allerlei Apparaturen zum Haareschneiden aber auch, um einen Verletzten notdürftig zu verarzten. Früher waren Barbiere für das Behandeln verletzter Leute zuständig, bis die professionelle Medizin sie ablöste. Auf der Mondinsel allerdings gab es nur wenige Ärzte, und die, die es waren, nutzen ihre Patienten schamlos aus. So hatte sich der Besitzer dieses Salon dazu entschieden, mit seinen bescheidenen Fähigkeiten der Menschheit zu helfen und die Verwundeten gegen ein winziges Entgelt zu behandeln, was ihm allerdings viele Feinde auf der Insel gemacht hat. Der Salon übrigens, unweit des Hafens von Dark, gehörte vorher einem alten Mann, der dem jetzigen Besitzer alles lehrte. Zum Namen des Mannes, der bis jetzt unerwähnt blieb, er hieß Hyde. Alice Hyde. Er selbst nannte sich jedoch stets Chuck, nicht etwa weil er sich wegen seinem Frauennamen schämte, nein, der Name „Chuck“ hatte andere Gründe aber dazu später mehr.So war das also, ein Mann mit Frauennamen, augenscheinlich ein Barbier und seltsamer Vogel, der vor seinem Salon saß und eine Tasse Tee trank, allerdings die dazugehörigen Stückchen nicht verspeiste. Fast schon normal sollte man annehmen, bis man sich die Gegen etwas genauer anschaute. Genau! Das hier war die Mondinsel, genauer gesagt Dark, einer der schmutzigsten und kriminellsten Fleckchen Erde im gesamten North Blue. Das ein Mann hier unbehelligt Tee trank war alles andere als normal aber wer sagt schon, dass dieser Barbier normal ist.
Ein lauter Hilfeschrei riss den lesenden Mann aus seiner Beschäftigung. Sein Blick richtete sich gen Hafen, die Augen etwas zusammengekniffen um besser zu sehen. Ein Schiff hatte angelegt, eins, das sehr ungewöhnlich für Dark war. Es gehörte nicht zu den unzähligen Gangsterschaluppen, die wendig und schnell im brackigen Wasser herumkurvten und es gehörte auch keinem Gangsterboss, dazu war es nicht protzig genug. Das konnte nur eins bedeuten: Piraten! (Schließlich gab es keinen Händler, der dumm genug war, hier anzulegen und gekaperte Schiffe wurden sowieso immer versenkt, da man sie nicht brauchte.) Der Hilfeschrei wurde wahrscheinlich von einem der Piraten ausgestoßen, anscheinend der Kapitän. `Was ist das denn für ein Käpt`n, der seine Crew auf eine solche Insel führt?´, fragte sich Alice, als er langsam sein Teezeug zurück in den Laden räumte und sich dann salonfähig anzog. Über die rote Weste wurde eine schwarze Jacke gestreift, passend zu Hose und Hemd und auf den Kopf ein eigenartiger Hut gesetzt, halb Zylinder, halb Schlapphut. Mit leicht wankendem Schritt brach der Barbier Richtung Hafen auf, in der Tasche das Gewicht zwei seiner geliebten Messer. Wenn einer von diesen Piraten überleben sollte, brauchte er vielleicht eine Rasur oder einen neuen Haarschnitt. `Vielleicht braucht er auch ein Toupet, um seinen blanken Skalp zu bedecken.´, sagte sich Alice, als ihm die Methoden und Macken mancher Gauner in Dark in den Sinn kam.