Haken, Magentritt, Wurf, Fall, Bodenkampf. Ein kurzes Gewitter aus schmerzhaften Blitzen, dann befanden sie sich auf einmal unter freiem Himmel. Ihr Ballett war ein harter, brutaler Tanz und Homesick war sich nicht ganz sicher, wer von ihnen beiden führte. Ein rötlicher Schleier verklärte seinen Blick auf die Welt, schien alles auf diesen Jungen zu konzentrieren, vernebelte seine Sicht, ließ ihn nicht mehr klar denken. Mehr aus Instinkt als wirklich darüber nachzudenken setzte Homesick einen neuen Hagelsturm aus Schlägen frei, kurz und fest, so wie er sie brauchte. Ob der Junge diesen Schlägen ausweichen konnte wurde nie auf die Probe gestellt, er hielt Distanz und ließ sich seinen Gegner verausgaben. Kluger Junge. Nur nicht klug genug.
Bevor Aaron merkte wie ihm geschah, stieß er mit der Verse gegen das, was er jetzt am wenigsten spüren wollte, nämlich die Reling. Sackgasse. Geistesgegenwärtig setzte der Phönix zum Sprung an, drehte den Kopf... und lief damit voll in Homesicks Faust hinein. Es war ein heroisches Bild. Hätte man diese Szene eingefroren und in Öl gefasst, könnte man sicher Stunden davor verbringen und das Gemälde bei einem Glas Cognac oder Whiskey bewundern. Die Komposition, die Dynamik, der Energiefluss, einfach alles stimmte. Homesicks Körperachse war ein schwungvoller Bogen, begonnen von dem angewinkelten Fuß, hinüber über die angespannten Beine, Hüften, Torso, den zum Schlag ausgestrecken Arm und schließlich – als Vollendung – die Verlängerung dieser Linie in Form eines Zahns, der mit einem Schluck Spucke in die Luft geschleudert wurde und im Mondlicht glitzerte.
Doch nun war die Szenerie nun einmal kein Ölgemälde im spätbarocken Stil, sondern eben nur die Momentaufnahme eines Kräftemessens, und somit vergänglicher als eine Schneeflocke. Und so flog der Zahn einem Würfel gleich über das Deck und der gute Aaron auf den Boden.
Gleichzeitig war es bemerkenswert, wie schnell dieser reagierte. Ohne wirklich zu realisieren, dass ihm ein Zahn fehlte, fegte der rote Lederboot sensenartig über die Bretter und säbelte auch Homesicks Beine weg, nur um sich in der gleichen Bewegung wieder auf die eigenen zu schwingem. Es knackte gleich zweierlei, als der Fleischberg seinen Fall mit dem Gesicht abbremste - Das eine mal Holz, das andere mal Knochen und Knorpel. Er brauchte im Gegensatz zu dem Phönix, der sich erstaunlich schnell wieder aus der Asche erhoben hatte, etwas länger, um auf die Beine zu kommen, ein Zögern, dass er schnell bereuten sollte. Ein schwungvoller Tritt in die hohle Magengrube schleuderte ihn einmal herum und ließ ihn diesmal mit dem Rücken auf den Brettern aufschlagen, ein zweiter Gruß, diesmal von oben herab, stampfte ihm den Rest Sauerstoff aus den Lungen.
Blind vor Schmerz griff Homesick in die Richtung wo er den Jungen vermutete, bekam etwas zu fassen und schlug lasch zu. Ein schmerzerfüllter Schnitt durch die Abendluft bestätigte, dass er zumindest irgendetwas mit Nerven getroffen hatte, aber das bekam er nicht mehr mit. Stattdessen lag der Berg einfach nur da und versuchte wieder an Luft zu gelangen. Und das war gar nicht mal so einfach, denn seine eigene Nase schien nur noch aus Rotz und Schmerz zu bestehen „Aahh...!“
„Aaahhh...!“ echote es von der anderen Seite zurück, wo sich Aaron mit schmerzerfüllter Miene die Leber hielt. So lagen sie eine Weile da, rangen nach Atem und fochten nun einen neuen Wettkampf, der da hieß: Wer steht als erstes auf? Eine halbe Minute verging, eine ganze, dann zwei... und schließlich richteten sich beide gleichzeitig auf, taumelten im Kreis umeinander herum und betrachteten sich mit einer Mischung aus Hass und Interesse, wie zwei hungernde Wölfe kurz vor dem Sprung.
Der ältere Wolf, der mit den alten blauen Augen, war ehrlich überrascht über das, was er sah. Bisher war er der festen Überzeugung gewesen der vielleicht kaputteste Mensch auf der Erde zu sein, aber nun wackelte dieses Bild. Es heißt ja immer die Augen seien der Spiegel der Seele, aber zum ersten Mal in seinem Leben sah Homesick jemanden, der wie er selbst einen Scherbenhaufen an dessen statt hatte. Es war subtiler, versteckter als bei ihm, aber Ben Harlot hatte über fast zwei Jahrzehnte bei jeder Rasur und jedem Blick auf ein Selbstportrait von ihm gelernt, wie ein gebrochener Mensch aussieht. Und hinter diesen bernsteinfarbenen Leuchten, die ihn durch die Abendluft wütend anfunkelten, lag sehr viel Leid und Kummer, das spürte er.
Ohne den Blick von seinem Gegenüber zu wenden, dem inzwischen auf beiden Seiten Blut aus den Mundwinkeln lief, machte Homesick einen Schritt nach vorne und holte zu einem erneuten Schlag aus. Der Rotschopf duckte sich, wenn auch knapp, unter dem linken Schwinger hinweg und schlug das erste mal in diesem Tanz mit der Faust zu. Der Hüne stoppte den Schlag auf die wohl unsubtilste Weise die es da gab – mit dem Kiefer – und griff sich den Arm des Jungen. In einer flüssigen Bewegung schleuderte Homesick Aaron herum und drehte ihm den ergriffenen Arm auf den Rücken, schnappte sich dann noch den anderen und machte den Schraubstock so perfekt. Zentimeter um Zentimeter weiter drehte er die Qualspirale, bis Aaron nicht mehr anders konnte und vor Schmerz aufschrie. Doch dann, in der Sekunde des Triumphes, zögerte Homesick. Dem Jungen war im Laufe ihres Tanzes der Ärmel zerrissen und glitt nun langsam an der Haut herab. Der Anblick war grässlich. Von den Fingerspitzen bis zu der Stelle, an der das rote Fleisch im Stoff des Hemdes verschwand, entstellte eine hässliche Brandnarbe die Haut des gesamten Armes. Und damit nicht genug, nun da Homesick es genauer betrachtete, fehlten dem Jungen an drei Fingern seiner Hand seine Fingernägel, als Tribut von den Flammen eingefordert. Die Tätowierung konnte er freilich nicht lesen, das verwehrte ihm die alte Schwäche für die Welt der Buchtsaben und Wörter, doch es fügte sich makellos – oder eher makelvoll – in das zerstörte Gesamtbild ein. Also war dieser Junge nicht nur innerlich eine Ruine. So lockerte sich eher ungewollt Homesicks bisher eiserner Griff, dessen eigene Narben an Armen und Händen auf einmal wieder zu schmerzen schienen wie am ersten Tag. Doch als Homesick seinen Fehler bemerkte, war es bereits zu spät. Aarons Bein zischte zurück und fand in den Weichteilen des Heimwehkranken sein desaströses Ziel. Zum zweiten Mal entwich dem Koloss die Luft und er sackte innerlich wie äußerlich zusammen. Doch dieses Mal hatte er Glück, denn er hielt, während er fiel immer noch den Phönix fest. Er wollte wiedergeboren werden? Gut, dann sollte er brennen!
Gemeinsam krachten die zwei Tänzer auf das Deck. Das erneute Knirschen von Holz und Knorpel entfloh dem Körper des Rotschopfs, der unter mehr als zwei Zentnern purem Homesick begraben wurde. Wer hätte das Gedacht, die Schwerkraft kämpfte anscheinend auch mit! Er wälzte sich von dem sichtlich malträtierten Körper des Jungen runter und veruchte ersteinmal den Schmerz einzudämmen, der immer mehr Überhand nahm. Mit einem letzten verzeifelten Kraftakt schloss er den rot behaarten Schädel in die linke Pranke und bot alle Kraft auf, die ihm noch geblieben war, um ihn ein Stück vom Boden anzuheben. Dann hämmerte er ihn mit aller Wucht dahin zurück, wo alles einmal landete. Auf die Bretter.
„DU!“ er hob den Kopf wieder an.
„VERLIERST!“ Und er schlug wieder auf.
„ICH“, die nun auch von Blut roten Haare blieben etwas am Holz kleben,
„GEWINNE!“ und mit diesem Worten brach das Holz des Bodens endlich. Aaron blieb stumm mit dem Gesicht nach unten in seinem Krater liegen und Homesick tat es ihm gleich. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis er endlich die Kraft fand, sich an die Reling zu ziehen und mit einem Laut, der je halb aus Scherz und Erleichterung bestand, fallen zu lassen. „Hey,“ sagte er etwas dumpf und näselnd und wunderte sich selbst über sie Worte, die aus seinem Mund kamen. „wie heißt du?“
„Aaron O'Malley.“ krächzte der Junge gedämpft und schwach aus seinem Krater. Und nach sieben ewigen Sekunden fügte er hinzu: „Du?“
„H...“ Homesick zögerte. Er musste unwillkürlich an ein weiteres altes Sprichwort denken, dass ihm gerade einfiel. Nach einem Kampf kennst du einen Menschen besser als nach 1000 Jahren Frieden. Und so fühlte er sich gerade. Er war sich nicht sicher, ob er Aaron mochte oder ihm den Schädel zerdrücken wollte, aber es schien ihm so als würde er diesen blassen, rothaarigen Jungen mit den kaputten Augen schon eine Ewigkeit kennen. „Ben...Ben Harlot.“
„Alles in Ordnung, Dad?“ fragte Lzzy, die nach der Schlägerei so schnell sie konnte zu ihrem Vater geeilt war. Er schüttelte den Kopf. „Alter Sturkopf. Sieh dich nur mal an, du siehst zum Schreien aus! Und deine Nase erst, mit der wirst du leben müssen.“
„Du solltest den anderen erst sehen.“ lachte er schwächlich.
„Hab ich. Du und Aaron, ihr seit beide Vollidioten.“
„Hehe.“ Lzzy schüttelte unverständlich den Kopf. Männer. Nichts als Stroh in der Birne. "Warum tust du nur sowas?"
"Das weißt du doch, Kleines, erzähl mir keine Märchen von dem unschuldigen Mädchen, dass im Turm auf ihren unbescholtenen Prinzen wartet. Du siehst sie doch." er nickte zuerst zu Aaron, der im Genuss von Trianes rabiaten Heilkünsten stand und dann zu dem Kerl mit der Schirmmütze und seinem dunklen Freund hinüber, die durch die offenen Türen gut zu sehen waren. "Du bist nicht dumm, siehst doch ihre Blicke. Sie sind wie Schakale und du in ihren Augen nichts weiter als Beute in ihrem Jagdrevier."
"Dann kann ich ja von Glück reden, dass ich mit einem alten Wolf unterwegs bin, was?" Sie zwinkerte ihm zu, doch mit Sorge im Lid. In gewisser Weise behielt er Recht - diese Schlägerei war auf ihrem Mist gewachsen und dass sich ihr Vater und ihr Charmeur gegenseitig zu einem blutigen Brei geschlagen hatten, war ihre Schuld. "Hier," sprach sie, auch um sich selbst abzulenken, "vielleicht beruhigt dich das ja etwas." Sie legte ihm einen kleinen, scharfkantigen Gegenstand in die Hand und als Homesick genauer hinsah - was ihm schwerfiel, denn das linke Auge konnte er kaum noch öffnen - erkannte er, was es war. Ein menschlicher Zahn. "Ist der von Aaron?" fragte Homesick.
"Jup. Ich dachte ich heb' ihn mal auf, so als Andenken."
"He. Braves Mädchen." Er musste herzhaft und grollend lachen, was sich aber schnell in einen Hustenanfall verwandelte. "Den behalt' ich als Glücksbringer. Und wo wir gerade von Anhängern reden... ich kenne da jemanden, der dich wegen so etwas gerne um einen Gefallen bitten würde." Sein Blick wandte sich zu dem drahtigen Mädchen, dass gerade damit beschäftigt war, Aaron von Kopf bis Fuß in Mullbinden einzuwickeln. Dafür, dass sie ihm die Nase wieder gerade gebogen hatte, blickte er auch gerne darüber hinweg, dass sie aus Arrestzelle ausgebüxt war.
Lzzy hingegen blickte die rothaarige Kellnerin eher schief an und fragte sich insgeheim, woher ihr Vater und dieses...Ding sich wohl kannten. Etwas pikiert bot sie ihr die Hand an. „Ich bin Lzzy Harlot, Homesicks Tochter. Wer du bist weiß ich nicht, sorry, Lutscherdame.“
„Kein Problem Lzzy, ich bin Triane.“ sagte das Mädchen in dem Hasenkostüm nicht weniger eisig und schlug in die ihr dargebotene Hand ein. Nicht ohne davor noch hineinzuspucken. „Ihh! Ist ja ekelhaft!“
Mit dem Phantomschmerz fremder Fäuste im Magen stand Homesick dann endlich auf und begab sich in Richtung Kapitänskajüte, wo er Lzzy abgeben wollte. Wie gesagt, er wollte das, aber irgendeine sadistische Gottheit schien verhindern zu wollen, dass Ben einmal einen guten Tag hatte. Er sah nur die schwarz-roten Augen und die bleiche Haut, schon drehte sich ihm der Magen erneut um. "Bitte entschuldigen Sie", sprach die androgyne Erscheinung Triane an.
„TÖTET ES! TÖTET ES MIT FEUER!“ schrie das arme Mädchen und Homesick nutze diese Gelegenheit zur Flucht. Was für seltsame, seltsame Menschen er heute doch traf... Er zog die lautstark protestierende Lzzy am Handgelenk hinter sich her und versuchte so viel Land wie möglich zwischen Aaron, den dunklen Gesellen und sie beide zu bringen. Noch so eine Schlägerei konnte er nicht vom Zaun brechen, allein schon anatomisch war ihm das nicht möglich. „Also, du weißt, was du zu tun hast?“
„Jaja, ich bezirze den Kerl mit der Schirmmütze, er klaut die Halskette für mich, er bekommt einen Kuss als Dankeschön und wir geben das potthässliche Ding an Triane weiter. Die im Übrigen nach Essen riecht...“
„Fast richtig. Fast“
„Und wo lag mein Fehler?“ fragte Lzzy ohne hörbares Interesse.
„Er gibt dir einen Handkuss. Höchstens einen Schmatzer auf die Wange, und damit bin ich schon großzügig. Eine Base weiter und du kannst morgen an seinem Grab um ihn trauern.“
„Ich hab dich auch lieb, Dad.“ seufzte sie ihm ihren letzten Rest Zynismus zu und wandt sich mit diesen Worten aus seinem Griff. Sie ließ sich noch auf ein wenig Smalltalk mit dem netten Barkeeper ein, dann ging sie zum Angriff über und schritt mit so viel Eleganz wie sie noch aufbringen konnte auf Brody zu, der seinerseits gerade an der Glücksfee rumknabberte. „Sagten sie eben nicht, sie wären Pirat?“ schmachtete sie ihn ziemlich forsch an umd erntete dafür böse Blicke von der Fee. Wahrscheinlich sah sie es gar nicht gerne, dass man ihr ihren `weißen Ritter` so einfach vor der Nase wegschnappen wollte. „Weil," sie kicherte mädchenhaft, "ich nämlich immer schon mal selbst einmal Pirat werden wollte. Und.. naja...es gibt da nämlich etwas, was ich einfach uuunbedingt haben muss.“.