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III. Gambit

Lucian

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Der Himmel war fast wolkenlos und die Sonne brannte unangenehm vom Himmel herab. Für den North Blue waren die Temperaturen heute ziemlich hoch, dass passierte für gewöhnlich nur selten. Wenn man dem Himmelsgestirn direkt ausgesetzt war, hielt man es nicht lange aus, obwohl der Wind schon eine gewisse Linderung schaffte. Lucian war alleine an Deck und versuchte den Kurs der Trophy in etwa zu halten, aber im Grunde tat er nicht wirklich viel. Anstatt sich der direkten Hitze auszusetzen, hatte er die Ruder verkeilt und saß im Schatten des Großsegels, während die Yacht immer weiter gerade ausfuhr. Das Meer war ruhig und mit dem konstanten Wind war es im Schatten durchaus angenehm. Er befand sich im Schneidersitz, ein paar Bögen Pergament vor sich und in seine Arbeit vertieft. Marlon war in der Küche-Schrägstrich-Gemeinschaftsraum beschäftigt und Gretchen befand sich noch eine Etage tiefer im Lagerraum. Was sie dort unten trieb wollte er gar nicht mehr so genau wissen, aber inzwischen war Lucian nicht mehr ganz so überzeugt, ob er glücklich darüber war, dass die kleine Terroristin so viel Sprengstoff mit an Bord gebracht hatte. Auf jeden Fall hatte er aufgegeben, sie nach ihrem Namen zu fragen. Sie war der Frage jedes mal ausgewichen, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie das nur tat, um ihn zu reizen. Darüber hinaus war er sich ziemlich sicher, dass Marlon ihren Namen bereits kannte und sich ebenfalls einen Spaß daraus machte, ihn nicht in seiner Gegenwart zu nennen. Einstweilen hatte der Vicomte sich damit abgefunden und war dabei geblieben, seine weibliche Komplizin Gretchen zu nennen. Spätestens wenn sie das störte, würde sie sich schon vorstellen.

Eine überraschend harte Welle traf den Bug und sorgte dafür, dass Lucians Hand abrutschte. Der Kohlestift, mit dem er gerade ein Blatt Papier behandelte, zog einen hässlichen Strich über sein Werk und er fluchte leise. Das erste, was der Kapitän machte, war den Kompass zuprüfen um sicherzugehen, dass sie weiterhin auf Kurs waren. Danach griff er nach dem Stück Weißbrot, dass er als kleinen Snack neben sich liegen hatte, brach ein Stück ab und radierte damit die ungewünschten Linien weg. Nach einem Augenblick pustete er über das Papier, um die Krumen los zu werden und nickte zufrieden. Als wäre nichts passiert. Wieder nach dem Kohlestift greifend, machte er sich daran, die letzten Schattierungen zu vollenden. Es war schon länger her, dass er auf diese Weise gearbeitet hatte, aber ihm fehlten die richtigen Utensilien, um auf eine andere weise ein Kunstwerk zu erschaffen. Die Kapitänskabine der Trophy verfügte sogar über eine Staffelei, aber die war nicht bestückt, weder mit Leinwänden, noch mit Farbe. Das was er hier notgedrungen verwendete, hatte er aus dem Tisch genommen, in dem das Handwerkszeug für den Navigatoren verstaut war. Da jedoch keiner an Bord war ... hatte er auch keine Gewissensbisse. Nach ein paar Minuten war der Künstler schließlich mit seiner Arbeit zufrieden und hob das Pergamentblatt vorsichtig hoch. Letzte Krümel und ein wenig Kohlenstaub fiel herunter und wurde sofort vom Wind ergriffen. Das Bild zeigte den Marinekapitän, gegen den er auf Steam gekämpft hatte. Allerdings nicht in der heroischen Pose, in der er zuerst aufgetaucht war, sondern niedergeschlagen, so wie Lucian ihn das letzte mal gesehen hatte. Besonders fiel Mühe hatte er sich mit dem seltsamen Zylinder gegeben, der wohl die Lunge ersetzt hatte. Schwer war es gewesen, den erstickenden, nach Luft ringenden Gesichtsausdruck festzuhalten, aber seiner bescheidenen Meinung nach, hatte er es ganz gut getroffen. Darum war es auch so wichtig gewesen, möglichst schnell anzufangen, damit die Erinnerung noch frisch war. Am liebsten hätte Lucian das ganze Elend in Öl verewigt. Fürs erste müsste diese Schwarzweißskizze aber reichen. Auf der Rückseite hatte er sich die wichtigsten Farben notiert, um das Werk eines Tages zu übertragen.

Eine große Wolke schob sich vor die Sonne und verdunkelte den Himmel für einen Moment. Mit abgeschirmten Augen sah der Weißhaarige nach oben, ob es eine Regenwolke war, aber dem schien nicht so. Außerdem zog sie dank des Windes schnell vorbei. Lucian hatte nicht wirklich Lust darauf, in einen Sturm zu geraten, wenn es sich vermieden lies, vor allem ohne einen vernünftigen Navigator an Bord. Wenn das Wetter und der Wind beständig waren, traute er es sich zwar zu, von einer Insel zur nächsten zu Segeln, aber einen richtigen Meeressturm hatte er noch nie erlebt und er war sich nicht sicher, ob seine Fähigkeiten dafür ausreichten. Die wahrscheinlichste Antwort war nein. Aber darüber würde er sich Sorgen machen, wenn es soweit war. Fürs erste räumte er stattdessen seine Zeichenutensilien zusammen und legte sie ans Heck. Dafür nahm er sich die Karte des North Blues zur Hand, die sich bereits an Bord befunden hatte. Wenn er keinen All zu großen Fehler gemacht hatte, dann würden sie bald auf der Insel Symetria ankommen. Genauer gesagt hatte er damit gerechnet Gestern dort anzukommen. Noch hatte er die Hoffnung, sich bei den Längen verrechnet zu haben und sagte daher auch nichts zu den anderen. Kein Grund sie zu beunruhigen oder sich selbst als unfähig dazustellen. Mit einer kurzen Handbewegung löste Lucian die Verriegelung am Ruderrad und lenkte leicht nach Steuerbord, bis die Kompassnadel wieder genau nach Süd-Osten zeigte. Und dabei versuchte er die Stimme in seinem Kopf zu ignorieren, die versuchte ihm einzureden, er wäre bereits am Ziel vorbei gesegelt.
 
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Marlon hatte die letzte Stunde ausschließlich in der Küche verbracht und er war noch lange nicht fertig. Da er die leicht verderblichen Lebensmittel zuerst "verkochen" wollte, hatte er sich dazu entschlossen, den heutigen Tag zum Fischtag zu erklären. Das bedeutete ein mehrgängiges Menü, in dem fast ausschließlich Fisch und Meerestiere serviert wurden, das aber eben seine Zeit brauchte. Und da Marlon den Tagesplan seiner Crew mittlerweile einigermaßen einschätzen konnte wusste er, dass zumindest Igraine jetzt einen Happen vertragen könnte, selbst verhältnismäßig kurz vor dem Essen. Und auch sein Kapitän würde ein wenig vertragen können, da war er sich sicher. Also zauberte der Koch gewissermaßen nebenbei eine kleine Stärkung in Form von panierten Garnelen. Diese kleinen Krustentiere waren schnell zuzubereiten, schmeckten gut und waren sogar einigermaßen nahrhaft. Außerdem war diese Zubereitung schnell und quasi nebenher zu erledigen, sodass er seine Aufmerksamkeit auch vom Hauptgericht nicht abwenden musste. Und so trug er schließlich zwei Teller voll dampfender panierter Garnelen nebst kleinem Salat und Zitrone, wobei er zuerst das Unterdeck aufsuchte.

Wo es, das musste man leider sagen, aussah wie Kraut und Rüben. Überall lagen Metallteile herum, manche abstrakt geformt, Marlon vermutete Abfallprodukte reger Arbeit, manche halb bearbeitet und dann wieder ganze Halbkugeln, Streben, Schrauben oder andere Apparate, aus denen der Koch auf den ersten Blick nicht ganz schlau wurde. Und dort, inmitten dieses besseren Haufen Schrotts saß Igraine an einer schwach beleuchteten Werkbank, umgeben von weiteren Metallgebilden wie ein Kind von Spielzeug, und bastelte mit konzentrierter Mine an irgendetwas. Mit dem Geschick eines Kellners, der unter einem cholerischen Chefkoch gedient hatte, bahnte Marlon sich seinen Weg zu ihr und stellte den Teller neben der Tüftlerin ab. "Nur, falls du dich zwischendurch mal von deinen Bomben loseisen kannst. Zum Essen rufe ich dich dann später rauf, aber ich dachte, eine kleine Stärkung täte dir ganz gut."

Als Marlon wieder an Deck kam sah er, dass Lucian anscheinend gerade mit dem Kurs beschäftigt war. Langsam trat er an den Weißhaarigen heran, wobei er sich vernehmlich räusperte, um dessen Aufmerksamkeit zu bekommen. "Nur eine kleine Zwischenmahlzeit, Kapitän, vor dem Hauptgericht. Ich habe viel von mir dort hineingesteckt, also hoffe ich, dass es dir schmeckt." Damit hielt er seinem Kapitän den zweiten Teller mit Garnelen hin. "Wann legen wir eigentlich an?" Kurz blickte Marlon sich um, ehe er seinen Oberkörper vorbeugte, sein Gesicht dem seines Kapitäns langsam näherte.. fast zärtlich. "Irgendetwas sagt mir, dass wir verfolgt werden. Womöglich werde ich einfach nur paranoid und womöglich hast du es auch schon gespürt, aber.. irgendetwas ist hinter uns her." Sein Gesicht war jetzt ganz nah an Lucians. "Ich kenne dieses Kribbeln. Es ist eine Art der Erregung, die nur in Kombination mit Gefahr entsteht. Und wenn wir sie teilen, dann muss mehr dahinter stecken als nur eine einfache Laune."
 

Igraine

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Igraine besaß die Fähigkeit, sich vollständig in ihre Arbeit zu vertiefen und dabei das meiste Geschehen um sie herum weitestgehend auszublenden. Sie hatte festgestellt, dass dieses doch recht kleine Schiff einen relativ geräumigen Lagerraum hatte, der kaum gefüllt war, also hatte sie sich die Freiheit genommen, sich dort einzurichten. Nach einem kurzen und nicht besonders ergebnisreichen Gespräch, in dem der Sinn und Zweck von Kojen erläutert wurde, hatte sie nämlich den ursprünglichen Plan abgeschrieben und ihre Aktivitäten nicht in dem kleinen Raum abhalten können, in dem sie ein wunderbar weiches Bett stehen hatte… eigentlich war es gar nicht so besonders, aber wessen Matratze vorher eher ein Alibi gewesen war, der wusste schon diese Verbesserung zu schätzen. Aufgrund von Tischmangel hatte sie schließlich zwei Kisten und ein leeres Regalbrett zu einem Tisch umfunktioniert, damit sie darauf an dem Projekt weiterarbeiten konnte, das angestanden hatte. Schnell hatte sie jedoch bemerkt, dass man sich erst daran gewöhnen musste, auf einem Schiff handwerklich tätig zu sein, da das Schwanken am Anfang durchaus hinderlich gewesen war. Es hatte allerdings auch nicht lange gedauert, bis sie das größtenteils ausblenden konnte, das einzig verbleibende Problem war, dass Metall sein Gewicht nicht selbst verlagern konnte und daher den Launen der Wellen schutzlos ausgeliefert war. Natürlich würde es ohne diese zusätzliche Schwierigkeit nicht ganz so unordentlich aussehen… und außerdem hatte Igraine hier zu wenig Draht, mit dem sie die Intermediate ihrer Arbeit ordentlich aufreihen und irgendwo aufhängen konnte. Ihrer Meinung nach war es also überhaupt nicht ihre Schuld, dass allein die ganzen Metallteile schon eine Todesfalle für besonders stolperanfällige Menschen waren. Bei den kugelartigen Gebilden, von denen eines beinahe komplettiert vor ihr in einem umgedrehten Deckel eines Schraubglases lag, damit es nicht wegrollte, handelte es sich tatsächlich um Bomben, wie Marlon richtig festgestellt hatte.
Momentan beinhalteten sie allerdings weniger Sprengstoff, als einfach eine ganze Menge Metallstifte, die durch die löchrige Außenwand ins Innere zeigten. Igraine war gerade damit beschäftigt, sie in den Sperrmechanismus der Stachelbombe einzuhaken, als Schritte hinter ihr hörbar wurden. Da die Pinzette in ihrer Hand allerdings gerade einen besonders feinen Haken festklemmte, sah sie nicht auf und verdrängte Marlons Anwesenheit auch direkt wieder, immerhin hatte sie wahrscheinlich gerade den kompliziertesten Teil ihrer neuen Waffe beendet. Irgendwo in ihrem Hinterkopf kam sogar an, dass er etwas von einer Stärkung sagte, aber da sie zu beschäftigt damit war, jede Aufhängung noch einmal zu überprüfen, kam das bei ihr erst an, als der Blonde schon wieder verduftet war. Apropos Duft, ein eben solcher driftete langsam zu ihrer Nase und sorgte schlussendlich doch dafür, dass sie sich von ihrer Arbeit abwandte. Woher kam denn der Teller da… oh! Igraine verzichtete darauf, sich die Hand vor die Stirn zu schlagen, weil sie noch immer ein spitzes Metallwerkzeug in der Hand hielt und schnappte sich stattdessen eine der Garnelen, um sie kurz zu beschnüffeln und dann mit einem Happs in ihrem Mund verschwinden zu lassen. Egal, wie das alles ausgehen mochte, allein für das Essen hatte sich diese Aktion ganz klar gelohnt. Mit genüsslichem Gesichtsausdruck kaute sie etwas schneller als angedacht und verschlang sofort darauf ein zweites Krustentier, bevor sie sich wieder der fast fertigen Bombe zuwandte. Fehlte nur noch der Sprengstoff.

Mit einem Prototyp ihrer neuen Spielerei, welcher natürlich gesichert war, in der einen Hand und dem halb leeren Teller Garnelen in der anderen, wuselte sie kurz darauf in Richtung Deck. Da unten fehlte es ganz eindeutig an Belüftung, was ein echter Makel war. Nicht nur war es unangenehm, sich längere Zeit dort aufzuhalten, es war so auch vollkommen unmöglich, beispielsweise eine mobile Schmiede einzurichten, dabei wäre so etwas wirklich hilfreich. Marlons Bumerang – er selbst nannte ihn Schwertklinge, aber die Schwarzhaarige blieb dabei, das war sowas von ein Bumerang (!) – hatte sich auf Steam verbogen und ohne eine Möglichkeit, ihn zu erhitzen, war die Feinjustierung wirklich kompliziert. Sicherlich wäre sie das auch mit einer solchen Anlage, aber es würde wenigstens nicht so lange dauern, bis man die Krümmung der Waffe verändert hatte. Sie blinzelte, als ihr die Sonne auf einmal ins Gesicht schien, so viel heller als das Licht unten im Lagerraum. Sicherlich hätte sie sich auch Kerzen oder ähnliches anzünden können, um etwas bessere Beleuchtung zu haben, aber offenes Feuer war in Kombination mit Sprengstoffen immer so eine Sache. Man konnte es riskieren, aber es wäre schön blöde. Zwischen dunklen Wimpern hindurch spähend, machte sie die beiden anderen Bewohner des Schiffes aus, rief ein „Danke, Merlin!“ und schlenderte in Richtung Reling. Es war ganz schön warm, Temperaturen, an die sie eigentlich nicht gewöhnt war und doch flatterte der rote Schal im Wind, obgleich er in Kombination mit einem rechtsseitig ärmellosen Shirt ein wenig seltsam anmuten würde. Zufrieden die stachelige Kugel in ihrer Hand betrachtend, stellte sie den Teller auf den Boden nahe der Reling, setzte sich daneben und mampfte zufrieden weiter.
 

Lucian

Piratenkapitän
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Deutlich genervt legte Lucian den Sextanten zur Seite, mit dem er gerade versuchte herauszufinden, ob sie auf dem richtigen Kurs waren. Theoretisch wusste er zwar, wie man dieses verdammte Ding benutzt, aber die Rechnungen, um dann tatsächlich ungefähren Ort festzulegen, kapierte er nicht. Und wenn er ganz ehrlich war, hatte er auch keine sonderlich große Lust darauf, sich ewig lange mit Navigationslehrbüchern zu beschäftigen. Am einfachsten wäre es wohl, wenn er auf der nächsten Insel einen richtigen Navigator suchen würde. So wie die Dinge standen, würde er ohnehin versuchen sein Personal zu erweitern, wenn auch nur um einen Haufen Frontschweine. Trotzdem, sich bei der Gelegenheit jemanden zu suchen, der tatsächlich etwas von Schifffahrt verstand, klang gar nicht so schlecht. Fürs erste war er jedenfalls fertig damit, dieses verdammte Schiff selbst ins nichts zu steuern! Der Vicomte legte die rechte Hand auf seine Brust und holte tief durch die Nase Luft. Die Situation zerrte nur ein wenig an seinen Nerven, das war alles. Durch den Mund atmete er aus und streckte den Arm dabei weg, als würde er alle Sorgen von sich fortschieben. Tatsächlich ging es ihm jetzt ein wenig besser. Mit der Rechten strich er sich die Haare nach hinten, die vom Wind gefangen wurden. ’Dann mal zurück zum Kurs ...’

Fast zur selben Zeit, als er wieder nach dem Sextanten und der Karte greifen wollte, begann s sein Magen zu grummeln. Und kaum fünf Sekunden später schob sich Marlon mit einem Teller Essen an Deck, als wenn er das leise Magenknurren bis unter Deck vernommen hätte oder über einen sechsten Sinn, wann sein Kapitän Hunger hatte, verfügte. Fürs erste beließ Lucian es daher mit dem Kurs und nahm stattdessen den dargebotenen Teller an. Zögerlich hob er eine Garnele vom Teller und begutachtete diese, schob sie sich dann aber schnell in den Mund. Er konnte nicht von sich selbst behaupten, ein großer Fan von Meeresfrüchten zu sein, aber Marlon schaffte es, dass selbst diese ekeligen kleinen Krabbendinger gut schmeckten. Man durfte nicht so intensiv darüber nachdenken, was genau man da aß. Genau so wie man nie zuviel darüber nachdenken durfte, was der blonde Koch beizeiten von sich gab. Manchmal war die Wortwahl ein wenig ... zweideutig. Aber verschlucken tat er sich an Marlon nicht mehr, inzwischen wusste er ungefähr, wie man diesen Mann händeln musste.

Die Frage, wann sie endlich ankommen würden, überging Lucian geflissentlich und gönnte sich stattdessen eine weitere Garnele. Doch Marlons nächster Kommentar veranlasste den Vicomte langsamer zu kauen und schließlich ein wenig schwer zu schlucken. „Und ich dachte schon ich bilde es mir ein,“ antwortete er gemächlich und stellte den Teller weg. „Ich glaube wir haben schon seit Steam einen Schatten. Allerdings habe ich bisher niemanden sehen können, kein Schiff, nicht mal die Segel.“ Er hielt inne, als Gretchen an Deck kam und sich mit ihrer eigenen Portion der Zwischenmahlzeit an die Rehling begab. Einen Moment lang dachte er ernsthaft darüber nach, ob sie etwas mit dem unguten Gefühl zu tun hatte, verfolgt zu werden. Aber den Gedanken verwarf er schnell wieder. Nicht das er ihr traute, aber ihre ganze bisherige Beziehung war zu willkürlich gewesen, als das jemand sie geplant hätte. Vielleicht von einem Mann abgesehen, aber von dem ging vermutlich keine Gefahr aus. Schließlich wandte der Kapitän seine Aufmerksamkeit wieder Marlon zu. „Vielleicht sind wir auch beide einfach zu angespannt. Ich meine, wenn es die Marine wäre, würden sie dieses Spielchen nicht treiben, sondern uns einfach versenken, solange sie die Chance haben. Und wer sonst sollte uns Verfolgen?“

Der Vicomte schnipste eine der Garnelen in die Luft und legte den Kopf in den Nacken, um sie aufzufangen. Aber daraus wurde nichts, als eine Möwe im Sturzflug herunter sauste und das kleine Krabbentierchen aus der Luft fing. Mit einem zufriedenen Krächzen verschlang das Federvieh seine Beute. „Du verfluchtest ...!“ Mit in die Luft geregter Faust sprang Lucian auf und fluchte der Möwe hinterher, bis etwas in seinem Kopf *Klick* machte. Möwen blieben immer in der Nähe des Festlandes. Das bedeutete, sie mussten sich tatsächlich einer Insel nähern! Die Euphorie über diese Erkenntnis hielt jedoch nicht lange an, als plötzlich ein ganzer Schwarm Möwen sich auf die Yacht niederwarf, um nach weiteren Leckerbissen zu suchen. Zwar wurden einige auf Gretchens und seinem Teller fündig, doch ein weit größerer Teil des Schwarms ging leer aus und attackierte dafür die drei Menschen. Zwischen Abwehrbewegungen und dem Wegschleudern eines besonders heimtückischen Vogels konnte Lucian nur noch „NIE WIEDER GARNELEN ODER FISCHE MEHR AN DECK!“ rufen.

Etwa zwei Stunden nach dem Möwenzwischenfall lief die Miss Ann’s Trophy schließlich im Hafen ein. Schon von weiten hatte man erahnen können, dass es sich bei der Insel tatsächlich um Symetria handelte. Eine so exakt symmetrische Silhouette hatte er noch nie zuvor gesehen und er glaubte nicht einmal, dass es sich dabei tatsächlich um ein natürliches Phänomen handelte. Auch die beiden Dörfer, die man später hatte erkennen können, waren vom Aufbau genau identisch gewesen und Lucian hatte sich nur deshalb für das südlichere von beiden entschieden, weil diese näher gewesen war. Noch immer ein wenig zerzaust sprang Lucian von Bord um sich mit dem Hafenmeister zu unterhalten, der sie schon von weitem beobachtet hatte und überlies es den anderen beiden, das Schiff zu vertauen. Nach einigem hin und her wechselten eine Anlegegenehmigung und ein schöner Batzen Berry den Besitzer. Damit war Lucian so gut wie pleite. Dieses mal würden sie sich deshalb wohl nicht brav mit frischen Vorräten eindecken können, sondern nehmen müssen, was sie brauchten. Aber das würde später kommen. Fürs erste bedeutete er seinen Leuten ihm zu folgen, während sie durch das einfache, wenn auch große Dorf zur nächsten Schenke zu gehen. Ein einfaches, großes Fachwerkhaus mit roten Schindeln. Drinnen war es geräumig, verräuchert und schwach besucht, da die meisten Leute wohl arbeiten waren. Obwohl es nur einige wenige andere Besucher gab, setzten sie sich in die hinterste Ecke, um ungestört zu bleiben.

„Also, dass hier ist Symetria und wir befinden uns in Dorf 3, wenn man dem Hafenmeister glauben darf,“ begann Lucian und scheuchte mit einer Handbewegung den Wirt weg, der gerade auf sie zugekommen war. „Was ich über Symetria weiß ist, dass es abgesehen von Fischen und Männern nichts auf dieser Insel gibt. jedes Dorf eine kleine Söldnertruppe hat, die Piraten fernhält und die Marine ersetzt. Es gibt wohl noch ein paar Schmuggler, welche die vier Dörfer untereinander mit verbotenen Objekten versorgen und die Hafenarbeiter der einzelnen Dörfer liegen untereinander im Streit und gehen sich immer wieder selbst an die Kehle.“ Er hielt kurz inne, um den beiden die Möglichkeit zu geben, ihr Wissen über die Insel mitzuteilen, aber als nichts kam, fuhr er fort. „Wir sind hier, um Kämpfer zu organisieren. Wir brauchen nicht viele, nur genügend, um einmal groß für Ablenkung zu sorgen. Und so wie ich das sehe, haben wir vier mal drei Anlaufstellen. Wir fangen einfach hier an. Gretchen, du gehst zu den Docks und siehst zu, ob du einige der Arbeiter abwerben kannst. Marlon, du besuchst das Söldnerlager. Ich sehe zu, dass ich zu den Schmugglern gelange. Wir brauchen die Soldaten um eine Stadt anzugreifen, also sucht nach Leuten denen es nur ums Geld geht. Noch fragen?“
 
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Also hatte sein Kapitän diese unterschwellige Bedrohung auch gefühlt. Dieses Wissen jedoch beunruhigte Marlon ebenso sehr wie es ihn beruhigte, ein sehr widersprüchliches Gefühl. Zum einen, nun ja, war er wohl nicht ganz so paranoid, wie er gedacht hatte, im Grunde genommen also nur so sehr wie sein Kapitän, doch zum anderen war die Möglichkeit, dass sie tatsächlich jemand beobachtete, damit durchaus in den Bereich des Wahrscheinlichen gerückt worden. "Ich heiße Marlon", korrigierte er Igraine, als sie ihm einen Dank zurief, doch dieses kurze Gespräch war eher ein Reflex von ihm. Auch sein Don hatte sich seinen Namen anfangs nicht merken können, ebenso wenig sein Chefkoch und sein Benimmlehrer. Unter seinesgleichen übersehen zu werden war in Mafiakreisen eine Art Berufsrisiko, doch zu Marlons Glück kam er damit sehr gut klar. Um genau zu sein machte er daraus sogar einen Vorteil, wenn er das musste.

"Ich werde mich zur Sicherheit noch einmal an Deck umsehen. Um ehrlich zu sein glaube ich zwar nicht dass ich unseren ominösen Verfolger jetzt finden werde, aber zumindest den Versuch will ich wagen. Irgendwann muss er ja mal einen Fehler machen." Mit dieser optimistischen Vorhersage machte Marlon sich daran, das Schiff zu durchkämmen, in seinem Gedankenfluss nur einmal unterbrochen, als sein Kapitän frustriert aufschrie. Also keine Meeresfrüchte oder Fische mehr an freier Luft, verstanden. Obwohl der Koch so den Verdacht hatte, dass Möwen auch sämtliche andere Mahlzeiten, die er unter freiem Himmel kredenzen würde, anzuknabbern gedachten, doch das war ein Problem für später. Jetzt hieß es Ausschau halten.

Doch natürlich, wie er sich schon gedacht hatte, fand Marlon nichts, nachdem er ein paar besonders aufdringliche Möwen verscheucht hatte. Die Trophy war blitzblank, nicht auch zuletzt dank seiner Bemühungen, aufgeräumt und so logisch aufgebaut, dass man sich im Schlaf hier zurechtfinden konnte. Abgesehen von Igraines Bastelstube und seiner eigenen Vorratskammer bot sie überdies keinerlei Versteckmöglichkeiten, schon garnicht für mehrere Verfolger, und zumindest ein oberflächlicher Check ließ diese Möglichkeit quasi zu Rauch verpuffen. So weit Marlon das feststellen konnte, war außer ihnen niemand an Bord. "Sehr merkwürdig...", murmelte Marlon geistesabwesend, wobei er seine Krawatte richtete. Dann allerdings machte er sich auf den Weg in sein Zimmer, denn wie auch Lucian oben an Deck hatte er aus der Anwesenheit der Möwe geschlussfolgert, dass Land nicht weit sein konnte. Und er musste sich noch ausgehfein machen. Die Möwen vorhin hatten seine Haare und seinen Anzug zerzaust und so würde er sich auf einer neuen Insel garantiert nicht blicken lassen.

Als die Luster schließlich auf Symetria anlegten, trug Marlon einen passenden Nadelstreifenanzug, der im Gegensatz zur aktuellen Mode genau spiegelsymmetrisch geschnitten war, mit dazu passender meerblauer Krawatte und ohne Einstecktuch oder dergleichen. Dazu ein ziemlich simpler Duft namens "Rosenkavalier", entgegen seines Namens kaum rosig, sondern allgemein eher ausgewogen. Für die Verhältnisse des Mafiosi schon beinahe banal. Nur auf seine Wurfklinge musste er dummerweise verzichten, denn diese war nach wie vor verbogen und für den Kampf nicht zu gebrauchen. Doch darüber machte sich Marlon vorerst keine Sorgen. Erstens war das ohnehin nutzlos und würde nichts ändern und zweitens konnte man die meisten Probleme, die sich auf dieser Insel ergaben, sicherlich auch friedlich lösen. Oder eben mit einem anderen geworfenen Gegenstand als einer Klinge. Schon auf Monte Gomero hatte er ja gezeigt, dass seine Wurfkenntnisse nicht nur auf den Krummstahl beschränkt waren.
Aufmerksam, mit hinter dem Rücken verschränkten Händen, hörte Marlon dem Plan seines Kapitäns zu und nickte, als dieser fertig war. Nein, Fragen hatte er keine, Lucian war zum Glück ein Freund klarer Worte. Nichts war verheerender als ein Anführer, der sich unklar ausdrückte. "Ich kümmere mich um das Anwerben von Söldnern. Keine Idealisten, nur Geschmeiß, das bezahlt werden will. Verstanden." Marlon nickte mit einem selbstbewussten lächeln. "Ich denke, das lässt sich hinkriegen. Du weißt ja dass ich ein Faible für starke Männer habe." Igraines Gesichtsausdruck verstand Marlon nicht ganz, doch er zwinkerte ihr nur einmal kurz zu und ging dann los, um das Söldnerlager ausfindig zu machen. Seiner Erfahrung nach waren solche meist in der Nähe von Kneipen und überdies nicht gerade unauffällig, sodass er sich gute Chancen ausrechnete, bald fündig zu werden.

Mit einem lauten Krachen zerbarst eine Holzwand, ein dumpfes Geräusch verriet, dass diesem Bersten von Holz ein Körper folgte, der unsanft auf dem Boden landete. Geistesgegenwärtig trat Marlon einige Schritte zurück, sodass der aufwirbelnde Staub seine Schuhe nicht verdreckte, dann sah er nach, was ihm da vor die Füße gefallen war.
Dieses "etwas" entpuppte sich als kleines, wimmerndes Häufchen Elend, ungefähr in Marlons Alter, ein Milchbubi, der offensichtlich noch nie diese Insel verlassen hatte. Ohne wirkliches Mitleid half Marlon ihm, auf die Füße zu kommen und stellte dann eine Frage, deren Antwort er eigentlich schon wusste. "Was ist passiert?" Mit einem zitternden Finger deutete der junge Mann auf etwas, das aussah wie ein kleiner Holzverschlag. Durch das Loch darin konnte Marlon mehrere breitschultrige Gestalten entdecken, die lachten und einander zuprosteten, ohne sie zu beachten. "I..ich wollte fragen, ob ich mich ihnen anschließen kann, aber sie..." Marlon musste sehr an sich halten, um nicht die Augen zu verdrehen. Natürlich, geh einfach zu den Söldnern, ohne jede Erfahrung, und frag' ob du mitmachen kannst. Klasse Idee. "Danke, Junge. Und lass' mich dir einen Rat geben: Du bist für sowas nicht geschaffen. Bleib' beim Fischen. Das ist vielleicht langweiliger, aber sicherer." Damit ging er los in Richtung der Söldnerbaracke.

Drinnen roch es in etwa so, wie Marlon es sich vorgestellt hatte, nach Schweiß, Erbrochenem und Schlimmerem. Ein halbes Dutzend grobschlächtiger Kerle saß an einem Tisch, der kaum mehr war als eine aus verschiedenen Hölzern zusammengezimmerte Platte, und spielte Karten, mindestens eben so viele bildeten einen Kreis, in den sie Münzen warfen, offensichtlich auf irgendetwas wettend. Ein weiteres dutzend Männer stand im Raum verteilt und trank, lachte, pöbelte, was Söldner eben so taten. Von Marlon nahm zuerst niemand Notiz.
Normalerweise wäre es dabei wohl auch geblieben, denn obwohl Marlon für diesen Ort eindeutig viel zu gut gekleidet war, konnte er sagenhaft unauffällig wirken, wenn er wollte. Er hätte sich durch die Menge schleichen, einem der Typen die Schuhe zusammenbinden oder seinen Geldbeutel klauen und wieder zur Tür hinaus gehen können, ohne dass er überhaupt bemerkt worden wäre. Für einen Attentäter verstanden sich solche Fähigkeiten von selbst, jedenfalls bei einem so betrunkenen Haufen. Doch leider war das hier nicht das Ziel der Sache. Hier ging es darum, Leute anzuwerben. Also tat Marlon etwas, was er nur sehr selten tat: Er steckte sich zwei Finger in den Mund und pfiff einmal laut und schrill auf.

Schlagartig verstummte sämtlicher Lärm und alle Gesichter wandten sich Marlon zu. Irgendwo knarrte Holz, Deckenbalken, vermutete Marlon, der Geruch nach Schweiß schien noch mächtiger zu werden. "Sicher, dass du dich nicht verlaufen hast?" Der scheinbar allerspeckigste und ungewaschenste der Männer richtete das Wort an Marlon und grinste ihn mit gelben Zahnruinen an. Der Mafiosi lächelte charmant zurück. Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. "Nein, das glaube ich nicht. Ich suche einige kräftige Männer, die nichts dagegen haben, sich für ein hübsches Sümmchen die Hände ein wenig schmutzig zu machen. Dafür bin ich hier doch richtig, oder?" Er sah den Mann, der ihn angesprochen hatte, unverwandt an, schenkte niemandem sonst Beachtung. Ihr Anführer und er sprachen auf einer Augenhöhe, das war wichtig. "Kann schon sein. Und was, wenn ich nein sage? Was machst du dann?" Der Söldneranführer grinste noch breiter und spuckte aus, direkt vor Marlons blankpolierte Schuhe. Eine ziemlich symbolische Geste, wie der Mafiosi wusste. Typische Drohgebärden vermeintlich starker Männer. "Nun, dann würden Sie sich und Ihre Leute um einen äußerst lohnenden Auftrag bringen. Eine genaue Summe will ich jetzt noch nicht nennen, aber ich garantiere vollste Zufriedenheit." Ein leises Raunen ging durch die Menge, doch keiner wagte es, dem Anführer ins Wort zu reden. Der immer noch nicht ganz überzeugt zu sein schien. Um genau zu sein war er ganz und gar nicht überzeugt, denn er zog ein Messer aus dem Tresen, wo es zuvor gesteckt hatte, und hielt es auf Marlons Brust gerichtet, während er näher kam. "Jetzt hör' mal zu, du geschniegelter kleiner Lackaffe..."
Blitzschnell tat Marlon es dem Anführer gleich. Zu seinem Glück steckten im Türrahmen ebenfalls mehrere Messer, sodass es kein Problem für ihn war, eines davon heraus zu ziehen und zu werfen. Zwar hatte es mit dem eher aus der Armbeuge kommenden Schleudern seiner Wurfklinge nur bedingt etwas zu tun, doch seine Zielgenauigkeit war gut genug, dem Wortführer der Söldner einen blutigen Schmiss auf die Wange zu zaubern und die Klinge bedrohlich zitternd direkt im Bullseye der gegenüberliegenden Dartscheibe stecken zu bleiben. Auch das gehörte zu den Spielregeln, wenn man mit Männern fürs Grobe in Kontakt kam. Zeigen, dass man sich durchaus wehren konnte. "Der nächste Wurf trifft", versprach Marlon, ohne jegliche Drohung in der Stimme. Er klang, als würde er seinem Gegenüber den Weg zum Postamt erklären. "Wie wäre es, wenn wir uns jetzt hinsetzen und über die Ziele meines Auftraggebers sprechen? Er hat genügend Geld, das garantiere ich Ihnen, aber seine Geduld ist.. sagen wir einmal begrenzt. Ich kann selbstverständlich gehen, doch womöglich lässt er mich dann später zurückkommen. Er hat keine Verwendung für Leute, die rumerzählen, wen er alles anzuwerben versucht hat, Sie verstehen..." Marlon ließ diese unverholene Drohung ganz langsam ausklingen.
 

Igraine

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Manche Möwenzwischenfälle prägten die Weltgeschichte, andere nur das Essverhalten an Deck. Für Igraine waren die angreifenden Möwen trotz ihres relativ simplen Ziels eine eindeutige Bedrohung, denn immerhin waren sie hinter ihrem Essen her und die Bombenbastlerin hatte grundsätzlich etwas dagegen, wenn man ihr das Essen wegnahm, vor allem wenn sie Hunger hatte. Es war eine Sache, wenn dies aus Not geschah, eine ganz andere, wenn es einfach Gelegenheit war und das auch noch auf so dreiste Art. Igraine gehörte nicht zu den großen Tierverstehern, weil die meisten Geschöpfe, denen sie bisher über den Weg gelaufen war, schlichtweg versucht hatten, sie zu töten. Sah man sich selbst in einem Kampf mit der Umgebung, hatte man ziemlich wenig Mitgefühl mit den Bedürfnissen solcher niederen Kreaturen und so kam ihr gar nicht in den Sinn, ihnen zu geben, was sie haben wollten. Viele Möglichkeiten hatte sie allerdings auch nicht, wenn sie ihnen die Leckereien nicht überlassen wollte, also tat sie das einfachste: Sie scheuchte den schnellsten Vogel mit ausladenden Armbewegungen von dem Teller weg und stopfte sich mit großer Hast einfach alles darauf befindliche in den Mund. Ein bisschen gestopft werden musste durchaus und es sah sicherlich alles andere als elegant aus, aber gewonnen hatte sie damit in jedem Falle: Sie hatte ihr Essen für sich alleine. Die Möwen fanden das nicht ganz so unterhaltsam und teilten ihren Gedankengang wohl nicht ganz. Noch hatte diese freche Menschenfrau immerhin nicht geschluckt, da bestand die Möglichkeit, dass sie doch noch etwas ergattern konnten. Blöderweise konnte man die Schwarzhaarige in dieser Hinsicht nicht als rücksichtsvoll bezeichnen, also fing sie gar nicht erst an, nach den Vögeln zu schlagen, sondern bediente sich gleich radikalerer Methoden. Es knallte, eine Stichflamme schoss in die Luft und mit empörtem Krächzen und versengten Schwanzfedern nahmen die Möwen wenigstens so lange Abstand, dass sich Igraine unter Deck retten konnte, wo sie erst einmal mit einem übervollen Mund und leicht angekokelten Fingern zu kämpfen hatte. Als Marlon kurze Zeit später ebenfalls unter Deck kam, wirkte er ein wenig zerzaust, aber schien beschäftigt zu sein, also schlenderte sie zurück in ihr privates Chaos und vertiefte sich wieder in ihre Arbeit. Keine sonstigen Hobbys zu haben, hatte sicherlich auch seine Vorteile.

Wieder auf festem Boden zu stehen war weniger angenehm, als Igraine gedacht hatte. Sie drückte die Schultern durch und ließ die Arme schlackern, welche inzwischen wieder beide von robustem, weißen Stoff bedeckt waren und machte einen Schritt zur Seite, als ihr Kopf sich gefühlt weiter bewegte. Dadurch, dass sie tagelang einem Wellengang ausgesetzt gewesen war, an den sie nicht gewöhnt war, kam es ihr nun so vor, als würde der Boden unter ihr schwanken, weil diese Bewegung auf einmal wegfiel. Da sie nicht lange gebraucht hatte, bis ihr Körper die Wellen ignoriert hatte, erwartete sie allerdings nicht, dass das lange ein Problem für sie darstellen würde und tatsächlich brauchte es nur ungefähr fünf Schritte, ehe sie zu torkeln aufhörte. Ihr Gepäck befand sich neu sortiert und ganz im Gegensatz zum Lagerraum des Schiffes vollständig ordentlich in ihren Taschen, die heute verhältnismäßig klein waren, zusammen mit Marlons Wurfklinge, die sie eingezogen hatte, weil er sie momentan eh nicht brauchen konnte. Die Möglichkeit bestand, dass sie hier irgendwo eine Schmiede auftreiben konnte und dann wäre es am klügsten, die Waffe gleich mitzuhaben. Das nächste Projekt musste dann zwangsläufig lauten, eine solche in den Lagerraum einzubauen, aber ihre Qualifikationen als Zimmerfrau waren eben eher begrenzter Natur. Vielleicht konnte sie da irgendwas drehen, mal sehen... in der Schenke angekommen, zog sich Igraine einen Stuhl heran und setzte sich, die Beine locker überschlagen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Irgendwie fiel man hier viel mehr auf, wenn man sich seriös verhielt oder den Dauersteher machte, wie Marlon es zum Beispiel hielt. Es war beinahe schon Instinkt, sich einfach genau so zu verhalten, wie die wenigen anderen Besucher und für böse Blicke war es hier zu wenig düster. Das einzige, was ihr tatsächlich nicht behagte, war die eindeutig dicke Luft, die wahrscheinlich von vielen rauchenden Stammgästen kam und die ihr ab und an ein leichtes Husten abrang. Besonders lange würde sie sich hier nicht aufhalten, das war gewiss.
Lucian empfand ihre unheilige Dreifaltigkeit wohl als Personalmangel, immerhin war es offenbar sein Plan, weitere Leute um sich zu scharen. Es kam Igraine ein wenig wie aus dem Schulbuch vor, was er hier versuchte, aber vielleicht war das auch gar keine so schlechte Idee. Irgendwer musste diese Dinger ja geschrieben haben - auch wenn man außerhalb der Mondinsel offensichtlich andere Fächer in der Schule unterrichtet bekam, so zum Beispiel diese ominösen Sozialwissenschaften, was auch immer das sein sollte. Es amüsierte sie, dass Schneeweißchen offenbar bei seinem Namen für sie blieb, denn tatsächlich war es ihr relativ egal, wie man sie nannte, solange es sich dabei nicht direkt um eine implizierte Beleidigung handelte. Sie konnte sich Namen eh nicht merken, da war es in Ordnung, wenn andere den ihren nicht nutzten. Ebenso interessant fand sie es, wie er die Aufgaben aufteilte und kommentierte diese nur mit einem leichten Schmunzeln und "Geschmuggelt hab' ich tatsächlich noch nie..." *Aber die Schmuggler, die ich kannte, hätten dich garantiert nicht gemocht, Milchgesicht.* Hafenarbeiter dagegen waren oftmals noch viel einfacher gestrickte Kerle, wie sie mit denen umgehen musste, wusste sie ziemlich genau. Marlons Bestätigung seines Auftrags dagegen verhärtete die Züge um ihren Mund einen Augenblick, ehe sie wieder breiter lächelte und einen tiefen Atemzug nahm, den sie gleich darauf bereute. Himmel, hier war es echt stickig... "Hafenarbeiter... alles klar."

Igraine war sehr schnell aus der Schenke verschwunden, was vor allem mit der verlockenden Aussicht auf frische Luft zu tun hatte, denn der Weg in Richtung der Docks wurde eher langsam hinter sich gebracht. Die junge Frau schlenderte, Blicke in alle Richtungen verschießend, die Gassen entlang, immerhin hatte sie es nicht eilig und konnte die Gelegenheit so nutzen, ein wenig über die Gegend zu erfahren. Besonders viel gab es auch hier nicht und doch wirkten die Häuser ganz anders als auf Steam oder gar der Mondinsel. Wo es auf letzterer vor allem heruntergekommene Baracken und auf erster verspielte Schrottkunstwerke gab, waren es hier streng geometrische Bauwerke, die die Straßen zierten. Wahrscheinlich war das der Grund, weswegen man dieses Eiland Symetria nannte. Sogar die etwas tieferen Teile des Hafens, die für den Verkehr von Privatpersonen eher nicht verwendet wurden, waren großteilig symmetrisch aufgebaut, von eher hinderlich quadratischen Piers bis hin zu Trockendocks, die aus unerfindlichen Gründen rund gebaut worden waren. Sogar die Männer, die gerade damit beschäftigt waren, einen Frachter auszuladen, hatten annähernd quadratische Form, auch wenn das eher an ihren breiten Schultern liegen könnte. Selbst, wenn man so wenig von Proportionen verstand wie sie selbst, bemerkte man, dass diese hier ein wenig zu extrem waren. Zum Glück ging es ja nicht darum, sich mit ihnen auf diese Art gut zu stellen... Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und durchgedrückten Schultern spazierte sie ihnen entgegen und kramte in ihrer Tasche nach Marlons Waffe. Die war sicherlich irgendwie aufregender als ihr Dolch, zudem verbogen und nicht ganz so verdächtig wie ihre Sprengfallen, doch solange sie den Bumerang vor dem Körper und ganz eindeutig nicht aggressiv herumtrug, würde sich sicherlich niemand von ihr eingeschüchtert fühlen.
Mit einem freundlichen Nicken hob sie die Hand, als sie bei dem am nächsten Stehenden angekommen war. "Moin! Habt ihr hier irgendwo eine Schmiede?" Igraine würde das Pferd lieber von hinten aufzäumen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese Kerle allzu viel verdienten, also würde sie eben auf diese Schiene versuchen, ihr Ziel zu erreichen. Das ging aber am besten, wenn sie vorher noch einmal darauf hinwies, wie schlecht diese Arbeitsbedingungen doch waren. "Hat dir jemand dein Spielzeug kaputt gemacht?" Igraine verzog keine Miene ob der ein wenig herablassenden Antwort und konterte stattdessen mit einem Heben der Klinge und einem Peilen über die Schneide. "Nein, ich hab's verbogen und wollte es nun wieder richten. Also?" Das war wahrscheinlich nicht die Erwiderung gewesen, die man von ihr erwartet hatte, denn anstatt einer weiteren versteckten Schmähung, deutete der bullige Mann hinter sich in das Trockendock. "Da hinten. Sofern du ein bisschen was abdrücken kannst." "Ein bisschen, denke ich schon... lohnt sich eigentlich das, was ihr hier so macht?" Sie ließ Marlons Klinge in ihrer Hand kreisen und danach wieder sinken.
 
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Lucian

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Nachdem seine beiden Gefolgsleute verschwunden waren, blieb Lucian noch eine weile alleine in der Schenke zurück und dachte über seinen Plan nach. Im Grunde sah er wenig Chancen auf Erfolg für sich selbst und noch weniger für Gretchen. Schmuggler waren seiner Erfahrung nach, die sich nur auf die Grubenhändler von Monte Gomero beschränkte, entweder Feiglinge oder fette Krämer, oder im schlimmsten Fall beides. Keine guten Vorraussetzungen für Kämpfer, selbst dann nicht, wenn es nur Lemminge sein sollen, die über die Klippe rennen. Dockarbeiter und dergleichen waren für gewöhnlich wenigstens muskelbepackt und zäh, einfach weil es mit ihren Aufgaben einher kam. Aber wenn so jemand sich einfach kaufen lassen würde, dann wäre er direkt ein Söldner geworden und hätte sich die elende Plackerei erspart. Erfolg würde wenn überhaupt nur Marlon im Söldnerhauptquartier haben. Mit ein Grund, warum Lucian seinen Koch dorthin geschickt hatte. Der blonde Anzugträger hatte unabstreitbar ein gewisses Charisma, wirkte Seriös und wusste bestimmt, mit solchem Pack umzugehen. Und selbst wenn nicht, würden ja noch drei andere Dörfer mit den selben Vorraussetzungen auf ihn und seine Leute warten.

Nun ja, aufgeschoben war nicht aufgehoben und er musste ja selber noch wo hin. Das wäre natürlich deutlich leichter, wenn er wüsste wo genau „Wo“ ist. Das es auf dieser Insel eine Gesellschaft gab, die mit verbotenen Dingen Handel trieben, wusste er von seinem Vater, der wiederum über jede größere, Illegale Handlung im North Blue bescheid wusste. Und selbst wenn er es vorher nicht gewusst hätte, der Hafenmeister war darüber nicht sehr diskret gewesen. Hatte sich darüber beschwert, dass man Zigarren nur noch für ein Vermögen unter der Theke bekam. Das bescheuerte an dieser Insel war, dass jedes Dorf irgendetwas anderes als Illegal ansah. Hier war es Tabak, in einem der anderen Dörfer war es Alkohol und dann wieder Waffen. Weil aber besagte Dinge nur in EINEM Dorf verboten waren, konnte man es in den anderen dreien legal erwerben. Die Schmuggler sorgten nur für eine gerechte und einfache Verteilung, zu ihren Konditionen versteht sich.

„Darf es jetzt vielleicht etwas sein?“ So tief war der Vicomte in Gedanken gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass der Wirt zurück gekommen war und nun direkt hinter ihm stand. Kurz schreckte er auf, beruhigte sich dann aber sofort wieder. Vielleicht war gerade heraus der einfachste und schnellste Weg. „Eine Kiste Zigarren und zwar von guter Qualität,“ antwortete er kühl und konnte beobachten, wie sich die Augenbrauen des Schankmeisters zusammenzogen. Der untersetzte Mann, der seine Halbglatze damit zu verdecken suchte, dass er sich die fettigen Strähnen rüber kämmte, räusperte sich leise und steckte den Notizblock in die Brusttasche, auf dem er eigentlich Lucians Bestellung notieren wollte. „Mister, in Dorf 3 gibt es keine Tabak-Waren. Diese schädlichen Dinge sind aus gutem Grund verboten und da bin ich froh drüber.“ Man musste nur einmal tief Luft holen, um zu merken, dass dies nicht der wirklichen Einstellung des kleinen Mannes entsprach. Der Tabakgestank war allgegenwärtig, selbst jetzt wo nichts angesteckt war. Es musste längst in die Wände und das Mobiliar eingezogen sein. Daher war Lucians einzige Erwiderung auch, dass er die Nasenflügel blähte und eine Augenbraue hoch zog. Der Wirt nestelte sich am Kragen herum und wich vor dem bösen Starren ein wenig zurück. „A-aber man kann natürlich alles besorgen, wenn man ein wohlhabender Mann ist und die richtigen Leute kennt, Sir.“ Mit den Fingerspitzen begann Lucian auf die Tischplatte zutrommeln, um seine Ungeduld zu zeigen. Dabei war dies eigentlich nicht nötig. Dass der Wirt so schnell einbrechen würde, damit hätte er nicht gerechnet. „Und wo genau würde ein wohlhabender Mann die richtigen Leute finden?“ fragte er spitz und stoppte das Trommeln abrupt. „A-also dass kann ich wirklich nicht ...“ Lucian stand auf. Das war genug.

Eine Viertelstunde stand Lucian vor dem heruntergekommenen Haus, zu dem ihn der Wirt geschickt hatte, oder genauer gesagt, er stand dahinter und vor der Kellerluke. Er hätte mit einer Wache gerechnet, aber stattdessen saß da nur ein alter Mann in einem Schaukelstuhl. Und der Kerl schien auch noch zu schlafen! Daher war sich der Weißhaarige ein wenig unsicher. Hatte der Barkeeper doch soviel Courage gehabt, ihm einen falschen Ort zu nennen? In den Keller eines alten Knackers einzubrechen war eindeutig unter seiner Würde. Schließlich löste sich das Rätsel von selbst, als der scheinbar dösende leicht in Richtung der Luke nickte und meinte „Wenn sie was wollen, müssen sie schon runter gehen!“

Der Nachteil an so blasser Haut wie seiner war, dass man es sofort sah, wenn er rot wurde. Darum zögerte der Vicomte auch nicht weiter, sondern riss die Luke auf und ging die überraschend lange Treppe hinunter. Zuerst war alles dunkel, aber unten angekommen, wurde das Bild von unzähligen Fackeln erhellt. Lucian pfiff kurz, als er die schiere Zahl an Kisten sah, die weit über Zigarren alleine hinaus gehen mussten. „Ja ja, beeindruckend, ich weiß. So geht es fast allen Leuten, wenn sie das erste mal hier her kommen.“ Der Mann, der gesprochen hatte und nun auf Lucian zu kam, sah auf den ersten Blick aus, wie das genaue Gegenteil von Lucian. Ebenholzfarbene Haut, eine ausschließlich schwarze Garderobe und kurze, schwarze Haare. Lediglich die strahlendweißen Zähne waren eine farbliche Abweichung. „Das sind Vorräte, Tauschwaren, Überreste. Nächstes Jahr kommt ein neuer Bürgermeister und ein neues Verbot, man muss vorbereitet sein.“ Immer mehr Männer und Frauen in ähnlichen, schwarzen Kluften kamen zwischen den Kisten und Truhen hervor und sammelten sich links und rechts neben ihm und dem Sprecher. Letzterer verschränkte nun die Arme auf dem Rücken und ging mehrere Schritte nach hinten, bis er an einem breiten Schreibtisch voller Dokumente ankam und sich gelassen dagegen lehnte. „Aber sie sind nicht hier, um über meinen Warenbestand zu reden, nicht wahr? Was kann ich für sie tun?“


Mit leicht zitternder Hand fuhr sich der wortführende Söldner über den Schnitt in der Wange und führte dann die blutigen Fingerspitzen vor die Augen, als würde er ohne den feuchten, roten Beweis nicht glauben was soeben passiert war. Dann drehte er sich langsam und ohne hastige Bewegungen um, damit er das Wurfmesser in der Dartscheibe sehen konnte. Das Zittern wurde ein wenig stärker doch man durfte es auf keinen Fall als Zeichen der Angst sehen. Dieser Hüne bebte vor Wut. „Sag mal Bübchen, was fällt dir eigentlich ein!?“, knurrte der attackierte und gewiss auch in seinem Stolz verletzte Mann leise. Ohne groß auf seine Bewegungen zu achten, leckte er sich das Blut vom Zeigefinger und wischte den Rest an seinem dunkelroten Flanellhemd ab. Auf dem dicken Stoff war es kaum zu sehen. „Ist mir scheißegal wer dein Boss sind, aber ich kann dir versprechen, dass der nicht der einzige mit begrenzter Geduld ist!“ Wie als wäre dies ein geheimes Signal gewesen, kam Bewegung in die anwesenden Männer, etwaige Schnapsgläser wurden geleert und Waffen wurden gezückt. Dies waren hauptsächlich Äxte in allen Größen und Formen aber bestimmt auch ein halbes Dutzend Schusswaffen. Der Sprecher selbst hatte ein handliches Holzfällerbeil in der Hand, welches er im Zweifelsfall auch mit einer ähnlichen Präzision werfen konnte, wie Marlon. „Sieht schlecht aus, Schönling. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich einem Messer ausweichen kann. Bist du dir sicher, dass du all den Kugeln und Äxten ausweichen kannst, nachdem du geworfen hast!?“ Mit der freien Griff der Söldner sich selbst einen kurzen vom nächsten Tisch, spülte diesen herunter und zerschmetterte das Glas dann auf der Tischplatte, welche ebenfalls zu Bruch ging. Die dicke Luft im Raum war praktisch greifbar. „Aber du hast Glück im Unglück. Unser Boss, der Holzfäller ist nicht da und hat uns verboten, in seiner Abwesenheit Stress zu machen. Also wenn du dich jetzt brav verpisst, passiert niemandem was! Deinesgleichen sollte lieber zu den Roten Anzügen in Dorf 2 gehen!“

Der Dockarbeiter der schon zuvor auf Igraines Fragen geantwortet hatte, hielt schließlich ganz in seiner Arbeit inne und leckte die Holzbretter, die er bis eben auf der Schulter getragen hatte, vor sich auf den Boden. Mit einer Hand wischte er sich den schweiß von der Stirn und fächerte sich dann ein wenig frische Luft unter das schweißnasse Leinenhemd. „Ne, lohnt sich nicht ein Stück,“ kommentierte er schließlich und begann seine Arme durchzustrecken. Dabei verzog er die Miene ein wenig. „Gibt hier vier Häfen und jeder hat seine eigenen Dockarbeiter. Das heißt wir kriegen nur ein Viertel aller Schiffe ab, die auf Symmetria anlegen. Alle paar Wochen prügeln wir uns mit welchen von den anderen Docks.“ Dabei grinste er breit und offenbarte eine Lücke dort, wo eigentlich ein Schneidezahn sitzen sollte, der wohl Opfer besagter Prügeleien geworden war. Wie um es extra noch einmal zu verdeutlichen fuhr er mit der Zunge die obere Zahnreihe ab und blieb bei dem Loch hängen. „Wie auch immer, um gut über die runden zu kommen, heuern die meisten Jungs hier gleichzeitig bei den Docks, den Lagerhäusern und der Werft an und arbeiten dann immer dort, wo gerade die meisten gebraucht werden. Bin selber gerade auf dem Weg zum Dock.“ Bei diesen Worten beugte er sich wieder runter und wuchtete die schwere Last zurück auf seine massigen Schultern, wobei er bei dem Kraftakt leicht grunzte. „Weißte, fast alle Arbeiter sind nur hier im Hafen beschäftigt, weil es sicher ist. Die meisten müssen an ihre Familien denken, sonst würden sie wohl die Insel verlassen oder bei den Söldnern anheuern. Ohne mein kleines Mädchen würd’ ich das wohl auch tun.“ Mit einem Nicken machte der Dockarbeiter sich wieder an die Arbeit und trug seine Ladung weiter in Richtung des Trockendocks.
 
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Langsam, ja keine Angst demonstrierend, rückte Marlon seine Krawatte zurecht. Hier würde er nichts mehr reißen können, das war klar. "Na gut, dann empfehle ich mich, die Herren. Ich wünsche noch einen guten Tag." Offensichtlich war ihnen das "keinen Ärger machen" ihres Chefs ernst, denn selbst diese kleine Provokation ließ keinen der Söldner auch nur mit seiner, wenn auch improvisierten, Waffe zucken. Marlon nahm dies als gutes Zeichen, aber als schlechtes Omen: Er würde überleben, aber diese Söldner waren für seine Zwecke eindeutig gestorben. Blieb ihm zu hoffen, dass Lucian für diese Umstände Verständnis zeigte. Doch um dieses Verzeihen zu verdienen, würde er Ersatz beschaffen müssen und genau das gedachte der Anzugträger jetzt zu tun. So schnell und diskret wie möglich. Also ging er hinaus, rückwärts wohlbemerkt. Niemals einem Feind den Rücken zudrehen, wenn man es nicht unbedingt musste. Insbesondere dann nicht, wenn man seine Waffe nicht dabei hatte.

Draußen hatte sich das junge Milchgesicht immer noch nicht ganz aufgerafft. Marlon, dessen Stimmung ohnehin schon am Tiefpunkt war, half ihm auf, freilich ohne sich seine schlechte Laune anmerken zu lassen. Dafür dass er jetzt gewissermaßen in der Klemme saß, konnte der Junge ja nichts. "Oh, ähm, danke... Sir." "Nichts für ungut, Junge. Und nenn' mich nicht Sir." Marlon lächelte freundlich. "So alt bin ich nun auch wieder nicht." Der Junge nickte folgsam, schien aber nach wie vor irgendetwas auf dem Herzen zu haben. "Was ist denn?"
"Naja, wegen der Söldner... Hätten Sie kurz gewartet hätte ich Ihnen erklären können, dass diese Typen auf.. ähm... Gut gekleidete Menschen nicht so gut zu sprechen sind. Wir nennen sie die Holzfäller und sie arbeiten eigentlich nur für recht.. ähm... Naja..." "Für Typen, die fast so heruntergekommen sind wie sie selber", half Marlon dem herumstammelnden Jungen aus. "Meinst du das?" Der Junge nickte nur.
"Sie machen meist die Drecksarbeit für Piraten oder sowas. Das ganze Gesocks. In Dorf 2 sind die Söldner etwas offener, vielleicht versuche ich da mein Glück..." Sanft, doch bestimmt schüttelte Marlon den Kopf. "Nein. Ich hab' dir bereits gesagt, das ist keine Welt für dich. Du bist für friedliche Dinge besser geeignet. Glaub' mir, ich sehe das Menschen an." Der Junge blickte Marlon an, ein trotziger Ausdruck lag in seinen Augen. "Ich weiß, was du sagen willst. Spar' dir den Atem. Diese Welt ist nicht abenteuerlich, aufregend oder schön. Sie ist die Hölle. Glaub mir", fügte Marlon noch hinzu, während er sich umdrehte und langsam in die Richtung ging, in der er Dorf 2 vermutete. "Ich hab' es erlebt."

Dass der Junge ihn nicht korrigiert hatte nahm Marlon als Zeichen dafür, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Vorbei an einigen hübsch angelegten Häuschen und einer Kneipe, aus der selbst um diese Uhrzeit bereits das Geschwätz von Betrunkenen drang, richtete er sich erneut seine Krawatte und blickte sich wachsam um. Für einen guten Attentäter war es essentiell, sich seine Stellungen einzuprägen und das galt besonders auf Symmetria. Wie er wusste, waren die Gebäude und Dörfer hier genau symmetrisch zueinander angelegt und er gedachte, das zu seinem Vorteil auszunutzen. Wenn er diese Stadt hier kannte, dann kannte er auch die Andere. So einfach war das. Entsprechend wachsam ging Marlon durch die Straßen und blieb ab und an sogar stehen, um sich eine besonders markante Position einzuprägen, die für ihn als Nutzer der Wurfklinge besonders von Interesse sein mochte. Wenn Igraine es denn schaffte, seine einzigartige Waffe zu richten, bevor es zu einem größeren Kampf kam.
 

Igraine

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Das für Lucian wenig vorteilhafte an Igraine war, dass sie einen eigenen Kopf hatte, der durchaus zum Denken fähig war, aber vollständig anders als der des Weißhaarigen funktionierte. Effektiv tat er das wahrscheinlich sogar weniger gut, aber dafür gab es eine gewisse Starrheit in ihrem Gedankenbild, die schwerlich überwunden werden konnte. Lucian wollte Leute anwerben, mit denen er zur Not eine Stadt oder ganze Insel angreifen konnte, warum auch immer. Dabei ging es ihm um Gründe, die Igraine nicht kannte und die sie somit nicht nachvollziehen konnte. Das, was er suchte, waren Soldaten, die für Geld arbeiteten - doch Geld bedeutete der Schwarzhaarigen selbst nichts. Klar wusste sie, dass es das Leben einfacher machte, aber solche Aktionen wie Lucian sie plante, liefen für sie für gewöhnlich über die Schiene der Überzeugung ab. Finanzieller Anreiz war schön und gut, aber wenn man damit gegen die eigenen Interessen verstieß, sollte kein Geld der Welt die eigene Meinung kippen. Käufliche Menschen waren außerdem eine Sicherheitslücke, immerhin verkauften sie ihre Loyalität und solange es solche gab, die mehr boten, konnte man sich ihrer nicht auf Dauer sicher sein. Igraines Motivation, Menschen gegen ihren eigentlichen Willen dazu zu bringen, für eine unklare Sache eines cholerischen Künstlers zu kämpfen, war daher eher moderat und sie würde den Teufel tun und einen Mann von seiner Familie weg in ein ungewisses Schicksal zerren - gerade, wenn dieser sich abrackerte, um seiner kleinen Tochter das Leben zu ermöglichen. Es war schöner, wenn er in ihrem Leben blieb und Lucian würde den Verlust sicherlich besser verkraften, als das Kind. Doch auch wenn Igraine soeben beschlossen hatte, dass sie diesen hart arbeitenden Mann an Ort und Stelle belassen würde, hatte sie immerhin den Weg zu einer Schmiede gewiesen bekommen, was man auch als Erfolg verbuchen konnte. So hatte sie wenigstens die Möglichkeit, zu versuchen, Marlons Bumerang wieder hinzubiegen. Wie gut und wie schnell das funktionieren würde, war eine andere Sache, denn dass das Stück Metall ein wenig speziell war, war ihr recht schnell klar geworden.

Die Schwarzhaarige schlenderte daher nach einem freundlichen Abschiedsgruß weiter, in Richtung des Trockendocks und verhandelte bereits ein paar Minuten später über den Preis, eine der dortigen Schmieden kurz benutzen zu dürfen. Zwar einigte man sich in dieser Hinsicht schnell, selbst als Igraine erklärte, sie müsse vorher jemanden zum Testen besorgen, aber die Unterhaltung an sich dauerte fort. Das Thema veränderte sich, wanderte vom eigentlichen Anfang ab und landete schließlich bei der Struktur der Insel, Chancengleichheit und all den Dingen, bei denen sie schließlich auf eine ähnliche Position kamen. Falls Igraine das richtig sah, so war nicht unbedingt mit Erfolg bei allen ihren Anwerbeversuchen zu rechnen, doch das hatte sie im Grunde erwartet. Der Fall des Dockarbeiters war nichts Besonderes, sondern stellte eher die durchschnittliche Situation der hier arbeitenden dar. Sicherheit war eben eine Sache, die man manchmal mit einem geringen Lohn erkaufen musste... wenn es denn wirklich Sicherheit war. Die beste Möglichkeit, hier jemanden zur Kooperation zu bringen, wäre ihnen klar zu machen, dass die Sicherheit, die sie hier hatten, nur trügerisch war und die Aussicht auf deutlich mehr Verdienst ihren Verlust aufwiegen würde. Wer risikobereit war, der arbeitete nicht in einem Hafen, das konnte sich Igraine einfach nicht vorstellen. Risikobereite Menschen kämpften oder leiteten Waisenhäuser auf kriegsgeplagten Inseln, Dinge eben, bei denen man nicht davon ausgehen konnte, sie ohne Schwierigkeiten ausführen zu können. Ihre eigene Risikobereitschaft ging auch nur so weit, wie es sie selbst und jene betraf, die ihr nicht viel bedeuteten - wären ihr Mann und ihre Tochter noch am Leben, würde sie wohl auch eher etwas tun, was sie weniger in Gefahr brachte als das hier. Ein Kind war ein guter Grund, ein wenig langsamer zu machen.

Wenn sie Erfolg haben wollte, dann musste sie Menschen finden, die weniger zu verlieren hatten, solche ohne Familie oder allzu feste Bindungen. Jüngere Leute waren eher diejenigen, nach denen sie suchte, solche, die noch keine Kinder oder Partner hatten und deren Abenteuerlust noch nicht von Resignation ertränkt worden war. Nachdem sie sich mit der Versicherung, dass sie wegen der Schmiede nochmal wiederkommen würde, verabschiedet hatte, steuerte sie daher einen der Arbeiter an, der ihr eher interessiert schien. Zerzauste, aschblonde Haare, vielleicht gerade zwanzig geworden und irgendwie ziemlich gelangweilt dreinblickend. Irgendwo musste man einen Anfang machen… "Du siehst aus, als könntest du ein wenig Abwechslung vertragen..."
 

Lucian

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Es war keine Untertreibung zu sagen, dass Lucian sich unwohl fühlte. Was auch immer er erwartet hatte, das war es nicht. Ein halborganisiertes Pack, halb Matrose, halb Straßenräuber, mit so etwas hatte er gerechnet. Aber diese Männer hier entsprachen nicht einer solchen Beschreibung. Auf Monte Gomero wären sie allenfalls durch die Hautfarbe von den Adeligen zu unterscheiden gewesen, denn die meisten trugen mehr oder weniger feine Kleidung, eine gute Zahl sogar schwarze Pelze. Aber die optische Erscheinung war es nicht, was den Vicomte verunsicherte, sondern das Benehmen. Keiner der Männer sprach, abgesehen von ihrem Anführer, aber irgendetwas an ihren Körperhaltungen gefiel ihm ganz und gar nicht und das nicht nur weil sie ihm mehr als zehn zu eins überlegen waren. Am schlimmsten war jedoch das freundliche Lächeln des Redners. Versuchend sich nichts anmerken zu lassen, straffte Lucian sich, drückten den Rücken durch und versuchte so erhaben wie möglich zu wirken. Mit festem Blick taxierte er den Sprecher und antwortete dann direkt heraus. „Ich suche keine Waren, ich suche Männer, die ...“, doch weiter kam er nicht, als der Schmuggler ihm ins Wort fiel. „Aber, aber, auch Männer sind nichts als Ware. Die nennt man dann nur Sklaven.“ Die meisten Männer, die um das Paar herumstanden, lachten leise über den Witz und Lucien fühlte sich im ersten Augenblick ein wenig überrumpelt. “Ich suche aber keine Sklaven, sondern,“ Erneut schaffte er es nicht zum Ende seines Satzes zu kommen. Der Dunkelhäutige hatte sich von seinem Tisch abgestoßen und damit begonnen, um den Vicomte herumzukreisen. „Es gibt genau drei Dinge, mit denen man guten Handel außerhalb des Gesetzes betreiben kann. Schmuggelware,“ der Mann zuckte mit den Schultern, als sei es eine Lappalie und lies kurz den Blick über die vielen Kisten und Säcke wandern, „Sklaven. Da steht der Aufwand jedoch in keinem Verhältnis zum Gewinn. Und Informationen. Das ist das verderblichste gut, aber häufig auch das rentabelste. Man kann sie verkaufen, oder, wie in diesem Fall, durch sie wissen, wann man NICHTS verkaufen sollte, Vicomte.“

Lucian machte irritiert einen Schritt nach hinten, was abermals leises Gelächter und Getuschel verursachte. “Was!?“ Man sagte die Intelligenz eines Menschen ließe sich an der Art und weise ermitteln, wie er Fragen formulierte, doch in diesem Moment konnte der Weißhaarige nicht anders. Und dann wurde ihm mit einem mal bewusst, was ihm an dieser Situation missfiel. Dieser Kriminelle Abschaum sah auf ihn herab. Die Art wie der Anführer ihn begrüßt hatte, mit ihm redete, dass alles war nur eine subtile Art, sich über ihn lustig zu machen. Eine Ader auf seiner Stirn begann zu pulsieren, als er nach dem Griff eines seiner Schwerter langte, doch im selben Augenblick war vielfaches Geraschel zuhören und schon fand er ein Dutzend Gewehrläufe auf sich gerichtet. Langsam lies er die Hand sinken. „Der North Blue ist zu klein, als das Lucian, der Vicomte des Hauses de Villefort, nicht erkannt werden könnte.“ Der Schmuggler hatte seine Runde beendet und war wieder an seinem Schreibtisch angekommen. Entspannt lehnte er sich erneut an die Tischplatte und signalisierte gleichzeitig seinen Männern, die Waffen wieder sinken zu lassen. ”Und wenn ich das wäre, was dann?“ fragte Lucian gereizt, ob der Gelassenheit im Raum. Denn er würde garantiert keine leichte Prämie für diese Schurken sein. Doch die Frage rief dieses mal Belustigung bei dem Schmuggler selber aus, nicht bei seinen Männern. „Ich bin kein Idiot Vicomte. Ich handele mit Waren, Sklaven und Informationen. Um aus ihnen einen Sklaven zu machen, wäre der Aufwand zu groß und als Ware gehen sie auch nicht durch, da ihr werter Vater, der Herr Richter, sie lebendig will. Einigen wir uns also darauf, dass sie nun einfach gehen sollten. Jeder Handel mit ihnen ist ein zu großes Risiko. Sollten sie jedoch mit, was immer sie vorhaben, erfolg haben, will ich sie nicht zu meinen Feind machen. Au Revoir. Ach und die hier geht aufs Haus.“ Mit diesen Worten öffnete der Rädelsführer eine kleine Kiste auf seinem Pult, holte eine Zigarre hervor und warf sie Lucian entgegen. Sie prallte gegen dessen Brust und fiel dann auf den Boden. Er musste erst einmal verarbeiten, was er soeben gehört hatte. Das war doch lächerlich! Den Drang unterdrückend, jemandem im Raum den Schädel zu zerschmettern, lies Lucian noch einmal den Blick wandern. Dann drehte er sich um und machte anstallten, das Kellergemäuer zu verlassen. Auf halben Weg hielt er jedoch noch einmal um und warf einen Blick über die Schulter. Dieser schwarzhäutige Bastard mit dem Schneeweißen zähnen grinste breit und winkte ausladend zum Abschied. Mit einem verächtlichen Schnauben verließ Lucian schließlich den Keller.
Kaum dass die Falltür geschlossen war, setzte der Schmuggler sich an seinen Tisch und begann einige Papiere aufzusetzen. Dieser Villefort war kein Sklave und keine Ware. Aber Informationen waren meisten ohnehin das lukrativste Geschäft. Mit dem Comte würde er kein solches eingehen, aber es gab genügend Kopfgeldjäger, die so tief sinken würden, für einen Mann wie Richter Villefort zu arbeiten ...

Lucian musste erst einmal stark blinzeln, als er aus der Dunkelheit wieder ans Tageslicht kam. Es musste ungefähr Nachmittag sein, so wie die Sonne stand. Ätzender Tag, einfach ätzend. Wütend schlug er mit der Faust gegen das Heruntergekommene Mauerwerk. Einzelne Splitter lösten sich von dem porösen Stein, aber seine Hand hatte mehr abgekriegt, so wie sie jetzt schmerzte. Dem Alten, der Wache schob, würdigte er keinen Blick, als er davon marschierte, um wieder ins Dorfzentrum zu kommen. Nach einiger Zeit kam ihm dann eine bekannte Gestallt vorbei; Marlon. Das der Koch sich hier draußen die Gebäude und Straßen ansah, anstatt mit den Söldnern zu verhandeln, konnte im Grunde nur eines heißen. Der Blondschopf hatte genau so versagt, wie er selbst. Oder er war der beste Verhandlungskünstler des North Blues. ”Marlon!?” machte der Vicomte seinen etwas abwesend wirkenden Leibwächter auf sich aufmerksam. “Wir gehen zum Hafen und holen Gretchen. Sag mir inzwischen, wie es bei dir gelaufen ist.“ Lucian lauschte ohne große Worte dem, was Marlon ihm berichtete und fand sich leider in seiner Vermutung bestätigt, dass sein Gefolgsmann versagt hatte. Nicht das Lucian ihm daraus einen Strick drehen würde, aber ärgerlich war es schon.

Als sie endlich zum Hafen kamen, bemerkte Marlon relativ schnell wo sich die Schwarzhaarige gerade aufhielt. Sie verließ gerade eines der Gebäude des Trockendocks und war in ein Gespräch mit einem blonden Milchgesicht vertieft, der wohl noch nicht besonders lange einer so körperlich fordernder Arbeiter nachging. Wenn er eine Armee von solchen Gestalten hätte, dann hätte er überhaupt keine Armee... Ohne etwas zu sagen ging der Vicomte mit seinem Koch und Leibwächter direkt auf die beiden zu und stellte sich ihnen in den Weg. Es war nicht einmal eine aggressive Haltung, sie stellten sich nur hin, als wollten sie sich unterhalten, mit dem Unterschied, dass sie nichts sagten. Der Blick des Arbeiters schwankte zwischen Igraine und den beiden Männern hin und her, dann nuschelte er etwas und zog sich mit eingezogenen Schwanz zurück. “Wenn der das beste ist, was wir unter den Dockarbeitern finden, bin ich nicht beeindruckt ... na ja, war vorauszusehen, dass das nicht gut gehen würde.“ Er ächzte resigniert. “So wie ich das sehe, haben wir wohl die größten Chancen bei diesen „Anzügen“ aus Dorf 2 die besten Chancen. Wir bleiben am besten zusammen und besuchen nur noch die Söldner. Aber für heute habe ich genug. Wir gehen zurück zum Schiff, Leute. Ich habe Hunger...“
 
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Marlon bemerkte zu seiner Überraschung, dass Lucian ihm entgegenkam. Und mehr noch, sein Kapitän wirkte ausgesprochen mitgenommen. Und so biestig, dass der Koch sich weitere Fragen lieber verkniff, sondern stattdessen so kurz und gefasst wie möglich von seinem Fehlschlag berichtete. Keine Ausreden, keine Entschuldigungen. Wenn der Don nicht in Gnadenstimmung war, dann vergab er auch nicht. "Nun, ich habe versucht, diese Männer auf unsere Seite zu ziehen, aber anscheinend hat mein Talent diesmal versagt. Normalerweise bin ich wirklich gut darin, andere Männer um mich zu scharen, aber sie schienen.. nicht gut auf unseresgleichen zu sprechen zu sein. Sie verwiesen mich allerdings auf eine Bande namens Anzüge in Dorf 2. Womöglich sollten wir bei diesen unser Glück versuchen." Das war die Kurzfassung seines Berichtes. Und wie sich herausstellte auch schon ausreichend, denn schon schien Lucian neue Pläne zu fassen. Dass er Igraine "Gretchen" nannte sah Marlon nicht als korrekturbedürftig an, war der weißhaarige Kapitän doch ohnehin in schlechter Stimmung. Stattdessen beschränkte der Mafiosi sich darauf, beiläufig zu nicken und mit hinter dem Rücken verschränkten Armen Ausschau nach Igraine zu halten. Was ihm so gesehen abgenommen wurde.

Der neue "Plan" war sicherlich vernünftig, sich zurück ziehen und Kraft tanken war wichtig. Und heute, da hatte Lucian Recht, würden sie nichts Bedeutendes mehr erreichen. Doch bevor sie die Trophy betraten, tippte Igraine Marlon auf die Schulter. "Ich wollte mich noch um deine Klinge kümmern, Nelson. Kannst du kurz mitkommen? So etwas habe ich noch nie geschmiedet und ich will sicher gehen, dass alles klappt." "Natürlich. Und ich heiße Marlon." Naja, irgendwann würde die unscheinbare Schönheit das noch lernen, da war er sicher.

Zu Marlons Überraschung schien Igraine bereits einen Schmied gefunden zu haben, der sie seine Arbeitsräume nutzen ließ. Ob er davon allerdings wusste, da war sich der Mafiosi nicht ganz sicher, aber er hatte gelernt, in solchen Angelegenheiten nicht nach zu fragen. Mit ruhiger, entschlossener und konzentrierter Mine machte sich Igraine daran, die verbogene Wurfklinge in das gut angefachte Feuer zu halten und dabei leise zu summen. Marlon tat nichts weiter als seine Krawatte zu richten und ihr zuzusehen, wie sie die Klinge immer wieder aus dem Feuer herausnahm und mit wenigen, gut gezielten Hammerschlägen nachbesserte, wobei sie mit Daumen, Zeigefinger und einem geschlossenen Auge immer wieder den Winkel abschätzte, den der markante Knick in der Mitte des Schwertes einnehmen musste. Ab und zu blickte sie auch zu Marlon hinüber, wie um sicher zu stellen, dass alles seine Richtigkeit hatte, doch dieser konnte nichts weiter tun, als immer wieder zu nicken. Anscheinend hatte sie sich den Winkel seiner markanten Waffe ganz genau eingeprägt. Das war gut.
"Da wären wir. So gut wie neu. Sei nur vorsichtig wenn du sie anfasst, das Heft ist noch ganz heiß." Mit einem Lächeln als würde sie Marlon ein Bonbon in die Hand drücken überreichte Igraine ihm schließlich seine frisch geschmiedete Klinge, der sich mit einem Nicken bedankte. "Ich bin noch ein wenig weg, aber geh' du schonmal zurück aufs Schiff. Der arme Ludwig verhungert sicher sonst." Ein Ratschlag, den sie Marlon nun wirklich nicht zwei Mal geben brauchte.

"Da bin ich. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Dafür ist das Gericht auch mit Liebe gekocht." Marlon konnte sich diesen alten Spruch einfach nicht verkneifen, als er Lucian mit verschränkten Armen am Tisch sitzen sah. Wie immer trug der Mafiosi mit akrobatischer Eleganz sämtliche Teller, Gläser und Besteckteile in einem Rutsch, sodass Lucian direkt loslegen konnte. Es gab eine sehr kräftige Mahlzeit, viel Fleisch und Gemüse für die nötige Energie, dazu ein Salat und Beilagen. Und natürlich die obligatorische Pasta als Vorspeise, diesmal ohne Soße, aber dafür mit kleingehobeltem Gemüse und dem zarten Fleisch von Muscheln. Und sogar zu einem Nachtisch fand Marlon die Zeit, genauer gesagt eine himmlisch zarte Torte. Die Weine schenkte er dem Vicomte natürlich passend ein, wobei er selber nicht aß. Ein Koch aß nie mit seinen Gästen zusammen, das gehörte sich einfach nicht.
"Ich hoffe, es hat geschmeckt. Ich kümmere mich um den Abwasch, du brauchst die Zeit sicher, um dich auf morgen vor zu bereiten. Gute Nacht." Und mit demselben Arbeitseifer wie er zuvor in der Küche gestanden hatte, erledigte Marlon den Abwasch des Vicomtes, deckte den Tisch ab und schon einmal für morgen vor, kochte für sich selber und räumte die Küche ein wenig auf. Danach inspizierte er die Vorratskammer und nahm sich dann etwa eine halbe Stunde, um mit der Wurfklinge zu üben. Zu seiner Freude stellte er fest, dass Igraine diese perfekt ausbalanciert hatte, sie war so gut wie neu. Er und sein alter Freund waren ein weiteres Mal vereint. "Wunderbar. Bleibt nur noch..."

Da Marlon nicht wusste, wann genau Igraine zurückkam, kochte er ihr Essen auf Haltbarkeit. Es war genau so gut wie das von Lucian, allerdings bedeutend wärmer und unter Servierglocken arrangiert. Diese stellte er, zusammen mit den Weinen, passendem Besteck und Gläsern auf ein Tablett, zusammen mit einer handschriftlichen Notiz:
"Da ich nicht weiß wann du wiederkommst muss ich das Essen für dich ein wenig warm halten. Iss' es bitte in der Reihenfolge, die ich dir aufgeschrieben habe, ebenso wie die Weine. Dann ist es wie eine kleine Geschichte zum Essen.
Schlaf' gut
-Marlon"
Dieses Set legte der Koch neben die Tür zu Igraines Kajüte, ehe er sich endlich selbst schlafen legte, nach einem langen und entbehrungsreichen Tag.
 

Igraine

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Das zweitschönste Geschenk, das Igraine in ihrem ganzen Leben erhalten hatte, war eine handgemalte Karte gewesen, die ihr kleine Hände mit kurzen Fingerchen in die Hand gedrückt hatten. Das, was darauf abgebildet gewesen war, hatte ihr erklärt werden müssen, aber danach war klar gewesen, dass es sich dabei um eine Mutter mit Tochter auf dem Schoß handelte, beide lächelnd und im Hintergrund eine große grüne Sonne. Alles verständlich und trotz großer Abstraktion wunderhübsch. Marlons Karte rangierte damit also vielleicht auf Platz vier der aufbewahrungswürdigsten Geschenke - was immer noch ziemlich viel war. Hätte Igraine nicht das Gefühl, dass sie Marlon weitestgehend durchschaut hatte, hätte es sie wahrscheinlich sogar noch etwas mehr gerührt, aber auch so brachte es sie zum Lächeln. Das war eine durchaus freundliche Geste, selbst wenn sie von jemandem kam, dem sie einiges an Gräultaten zutraute, wenn man es ihm nur so befahl - immerhin war das hier wohl kein Befehl gewesen, denn wer außer ihm sollte darauf gekommen sein? Leander etwa, der seine wenn überhaupt vorhandene Zuneigung zu Menschen wahrscheinlich dadurch ausdrückte, dass er mit hoch rotem Kopf kein Wort mehr herausbrachte oder einfach einmal lächelte? Ob er das überhaupt konnte? Die Bombenlegerin seufzte, steckte die Karte in die Tiefen ihrer Taschen und missachtete Marlons Schriftstück danach mit allen Mitteln der Kunst, indem sie sich einmal kreuz und quer durch das Essen vorkämpfte und dabei von dem Umstand Gebrauch machte, dass niemand im Raum war, der ihre Umgangsformen bewerten konnte. Besteck war sowieso unwichtig und wer war gleich auf die Idee gekommen, dass ein Nachtisch zum Schluss gegessen werden musste? Benimmregeln waren nur gemacht worden, um den Umgang mit Menschen und das Verhalten bei sozialen Zusammenkünften zu regulieren, um sich profilieren und angeben zu können, aber wenn man alleine war, durfte man sich eben wie ein halbes Ferkel benehmen. Ganz davon abgesehen, dass sie sowieso müde war und sich daher nicht viel Zeit geben konnte, immerhin hatte sie zuvor noch einen kleinen Spaziergang über die Insel gemacht.

Da Igraine in ihrem Leben bisher nur zwei Inseln betreten hatte und diese überbesiedelt waren, wie wenige andere, hatte ihre Neugier nach dem Ausflug in den Hafen überwogen. Dieser interessierte sie relativ wenig, denn mit Häfen war sie vertraut, aber die inneren Bezirke der Insel waren noch ungewiss gewesen, also hatte sie ein paar Stunden geopfert und war durch Straßen und Stadtzentren geschlendert, die Augen groß und neugierig, bis sie schließlich etwas ganz und gar faszinierendes gefunden hatte. Ein schmiedeeisernes, rankenartig verziertes Tor hatte in einen kleinen Park geführt, der, wie konnte man es anders erwarten, absolut symmetrisch angelegt worden war. Wahrscheinlich wäre es die Tatsache, dass jeder Stein, jeder Weg und jede Blume ihren Gegenpart auf der anderen Seite des Parks hatte, die die Besucher interessiert hätte, aber dieses Detail hätte der Schwarzhaarigen nicht gleichgültiger sein können. Nein, was Igraine zum Anhalten und Staunen verleitete, waren die Farben, die sich ihr boten. Die Mondinsel war farbenarm gewesen: Schwarz und Weiß hatten sich in schnellem Wechsel ergänzt, ein einziges Gewitter aus Stahl, Feuer und Schrot, nur durchbrochen vom dunklen Rot des Blutes und dem verführerischen Funkeln von Silber. Schon Steam hatte eine größere Farbpalette besessen, doch diese war stets metallen angehaucht gewesen, ob nun oxidiertes Kupfer, Eisen oder Zinn. Der Park, in dem sie ungefähr eine halbe Stunde einfach nur auf einem Fleck gestanden hatte, besaß so viele unterschiedliche Grünschattierungen, dass ihr die Augen davon übergingen. Hellere, jüngere Blätter, dunkle, vergehende Stümpfe und all diese Blumen! Da gab es zartes Rosa, zierliches Zitronengelb, sattes pastelliges Blau und wenn sie einatmete, dann war es kein Rauch oder schmieriges Öl, was sie wahrnahm, sondern ein überwältigender Duft aus tausend unbekannten Quellen. Sogar Marlons Ausdünstungen verblassten dagegen in einer unscheinbaren Unbedeutsamkeit. Es dauerte knapp fünf Minuten, ehe sie ihren Inhalator zücken musste, doch auch das hielt sie nicht davon ab, die Blumen anzustarren, als wolle sie diese mit Blicken zum Leben erwecken.

Die weitere Zeit, die sie verschwunden blieb, wurde weniger malerischen Tätigkeiten geopfert, denn wenn sie schon einmal auf einer neuen Insel war, war es cleverer, sich gleich mit ihr auseinander zu setzen. Auch wenn man sich nicht durchgehend auf Menschen verlassen sollte, so war es immer clever, mit ihnen in Kontakt zu bleiben, denn nichts zahlte sich auf lange Sicht mehr aus. Sicherlich ließ sich so etwas nicht an einem Tag erledigen und schon gar nicht in ein paar Stunden, aber um die Lage zu sondieren, war das gerade lang genug. Es hatte daher durchaus einen Grund, warum Igraine Marlons Getränke zurück stellte.
 

Lucian

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Adelige Kinder sind trotz ihrer Eltern im tiefsten Grunde immer noch Kinder. Und die meisten Kinder erfreuen sich an bestimmten Dingen, wie zum Beispiel eine Stunde länger aufbleiben, mit ihren Freunden spielen oder sich mal schmutzig zu machen oder mit anderen zu raufen. Der Unterschied zu normalen Kindern ist, dass die armen Küken, die im goldenen Käfig geboren werden, streng in bestimmte Richtungen erzogen werden. Als junger Adeliger zum Beispiel hast du ausgefallenes Essen zu genießen, du hast vier Gänge zu erwarten und mit allem, was die Kellner und Köche anderer zubereiten, glücklich und zufrieden zusein. Da spielt es keine Rolle, wenn du statt des Mahls des Fünf-Sterne-Kochs lieber einfach nur eine große Portion Pasta und zum Nachtisch ein Eis nach Wahl haben möchtest. Und mit den Jahren passt man sich diesen Regeln an, man konditioniert sie, bis sie mit den eigenen Wünschen vollends übereintreffen und man diese an seine Kinder weiter gibt. So in der Theorie zumindest. Bei Lucian hatte dies nur leider nie wirklich funktioniert. Zeitweise hatte er sogar den Verdacht gehegt, die Köche seines Vaters würde absichtlich immer nur die Speisen in der Form servieren, die er am wenigsten mochte, bis er das Essen ganz verweigert hatte. Der Monat bei Brot und Wasser als Strafe, war dagegen so etwas wie ein kulinarischer Hochgenuss gewesen.

Es war nicht so, dass er Marlons Kochkünste nicht mochte, ganz im Gegenteil. Besonders seine kleinen Snacks für zwischendurch hatte der Vicomte in den letzten Wochen zuschätzen gelernt. Als Koch war der Blondschopf wirklich gut, eben weil er häufig auch ein wenig erdgebunden war. Aber wenn er dann ein Festmahl wie das an diesem Abend servierte, dann fühlte Lucian sich immer in sein zehnjähriges Ich zurückversetzt, dass in einem Gefängnis aus Marmor eingesperrt war, inklusive der charakteristischen Foltermeister. Das ganze verdarb ihm einfach nur den Appetit, weswegen er auch nur soviel aß, wie es die Höflichkeit verlangte. Das er wusste, wann der Höflichkeit genüge getan ist, war ebenfalls ein Überbleibsel seiner Erziehung und der Gedanke daran betrübte seine Stimmung noch weiter. Dementsprechend war er relativ erleichtert, dass er heute Abend nicht Gretchen um sich hatte, die es immer irgendwie schaffte, seine Puls zum rasen zu bringen. Mit wenigen Worten bedankte er sich schließlich für das Essen und wünschte Marlon eine gute Nacht, ehe er sich in seine Kajüte im Bug der Trophy zurückzog. Es dauerte nicht lange, bis er schlief, aber das Essen schien ihm auf den Magen geschlagen zu haben. Zumindest träumte er von einigen Sachen, an die er sich eigentlich nicht erinnern wollte.

Nach einer unruhigen Nacht wachte Lucian neben dem Bett auf dem Boden auf. Ein Blick durch das Bullauge verriet ihm, dass die Sonne gerade im Begriff war aufzugehen. Mit einem Stöhnen warf er das Kissen zurück auf die Matratze, das er mit sich heruntergezogen hatte und stand auf. Die Uhr verriet, dass es kaum sechs Uhr war. Aber schlafen wollte er auch nicht mehr. Also begab er sich zuerst ins Bad und ging dann durch den Gemeinschaftsraum zu den Mannschaftskajüten im Bug. Durch den Raumteiler konnte er sehen, dass Marlon die Küche im Topzustand hinterlassen hatte. Er hatte bestimmt noch Stunden gearbeitet, nachdem er selbst zu Bett gegangen war. Wann Gretchen zurückgekommen war, hatte er auch nicht mitgekriegt. Einen Augenblick rang er mit sich selbst, dann entschied er sich dazu, die beiden schlafen zulassen. Also lies er die Kabinentür unberührt und setzte sich stattdessen in die Sitzecke, die als Kern des Gemeinschaftsraum diente. Bei allem was die Trophy war, so war sie eines nicht: Geräumig. Solange sie zu dritt waren, wäre das nicht weiter schlimm, aber wenn er mehr Leute in seinen inneren Kern aufnehmen würde, wäre es über kurz oder lang sehr eng hier drin. Fürs erste schob er diesen Gedanken beiseite und machte stattdessen das Schachspiel fertig, dass sich unter der abnehmbaren Platte des Esstisches befand. Statt der Figuren sah er jedoch nur weiß, bis er sich erinnerte, dass er die seltsame Flagge der Krabbe dort verstaut hatte. Gleichgültig warf er den Stoff neben sich auf die Bank und stellte stattdessen die Figuren auf und, in Ermangelung eines besseren Gegners, forderte sich selbst zu einer Partie heraus.

Gretchen war die erste, die ein wenig Schlaftrunken aus ihrer Kabine kam. Lucian sah nicht auf, als die Tür sich öffnete, da er zu sehr in sein eigenes Spiel vertieft war. “Guten Morgen,“ grüßte er trotzdem und rückte gleichzeitig mit dem weißen Springer zurück. “Wenn du fertig bist, weck bitte Marlon. Ich weiß nicht wie lange wir zu den anderen Dörfern brauchen und ich habe keine Lust, Nachts über eine Insel zu marschieren, die ich nicht kenne.“ Der Plan sah so aus, dass sie sich nur noch um die Söldnerbüros kümmern und dort als geschlossene Gruppe auftreten würden. Mit etwas Glück würden sie ja alle Dörfer an einem Tag abklappern können, auch wenn sie auf jeden Fall mit Dorf 2 anfangen würden. Eine halbe Stunde später waren dann seine beiden Gefolgsleute abmarschbereit. Lucian selbst hatte sich die letzten zehn Minuten nicht mehr bewegt, sondern nur die kleinen Figuren aus Obsidian und Diamant begutachtet. Schließlich seufzte er leise und legte den weißen König quer. Es war nicht das erste mal, dass er gegen sich selbst spielte, aber für gewöhnlich gewann weiß. “Habt ihr alles? Gut, dann können wir ja los gehen.“

Im Gegensatz zum Vortag hatte Lucian heute seine Waffen dabei. Er konnte nicht sagen wieso, aber nach der Begegnung mit den Schmugglern fühlte er sich besser, wenn die beiden Schwerter in seinem Gürtel steckten. Eigentlich dürfte nicht genug Zeit vergangen sein, dass dieser Bastard irgendjemanden informiert haben könnte UND derjenige hier angekommen war, aber trotzdem. Er hatte auch Marlon und Igraine gesagt, dass sie sich bewaffnen sollten. Nur für den Notfall. Außerdem konnte man ja nicht wissen, wie die anderen Söldner reagieren würden. Fürs erste wurden Lucian und Kompanie jedoch nur von einem menschenleeren Hafen und ebenso verwaisten Straßen begrüßt. Man sollte meinen, dass um halb acht Uhr morgens mehr los wäre, aber Dorf 3 schien um diese Zeit eine Geisterstadt zu sein. Daran verschwendete der junge Mann jedoch nur wenige Gedanke und schlug stattdessen die breite Hauptstraße ein, die nach Osten führte, wo sich wohl Dorf 2 befinden sollte. Es wurde nicht viel Gesprochen, während sie die Siedlung verließen und in eine Umgebung mit mehr Bäumen und Felsen wechselten. Anderenorts hätte man „natürlich“ gesagt, aber auf dieser Insel fühlte sich das irgendwie seltsam an. Symetria war ziemlich gut bewuchert und auch an Bergen und Felsen mangelte es nicht, aber trotzdem wirkte hier nichts wirklich natürlich. Die Art, wie die Bäume wuchsen war zu symmetrisch und die Felsen wirkten irgendwie künstlich bearbeitet. Schließlich brach Lucian sein schweigen, während er kurz stehen blieb und zu den anderen beiden zurück sah. “Wenn ihr nichts dagegen einzuwenden habt, dann möchte ich, dass wir die Mahlzeiten ab sofort zusammen einnehmen. Das gilt auch für den Koch! Und Marlon, solche Gourmetdinner wie Gestern brauchst du nur zu wirklich besonderen Ereignissen machen. Ansonsten ist es zu ... pompös. Auf jeden Fall, will ich euch besser kennen lernen, denn nur so kann ich euch vertrauen. Und dazu eignet sich das Essen noch mit am besten, wenn keiner mit sonstigen Aufgaben abgelenkt ist. Ach ja und wo wir gerade bei Vertrauen sind; Versuch sieben. Möchtest du mir vielleicht endlich deinen Namen sagen?“ Dabei war die letzte Frage selbstverständlich an Igraine gerichtet.
 
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Der Koch ging immer als Letzter zu Bett und stand als Erster auf. Man hatte immer etwas zu tun, sei es das Essen vorbereiten, abspülen oder den Vorratskeller auf Ratten zu überprüfen. Schlaf nur so viel, wie unbedingt nötig war, um zu funktionieren. So hatte Marlon es beigebracht bekommen. Nur mit weniger höflichen Worten und mit etwas mehr körperlicher Gewalt. Da war es wohl kaum verwunderlich dass er trotz seiner langen Nacht schon früh wieder aus den Federn war und seine Runde machte, wobei er einige kleinere Wurfübungen mit seiner Klinge veranstaltete, nur um sicher zu gehen, dass Igraine sie perfekt repariert hatte. Was sie, wie er erleichtert feststellte, wirklich getan hatte. Die Schmiedin wusste was sie tat, das war offensichtlich, und Marlon schuldete ihr etwas. Womöglich sollte er sie einmal fragen, was ihr Leibgericht war, und es dann für sie kochen. Ein wenig vorhersehbar, aber was konnte er als Koch schon anderes für sie tun? Umbringen würde er wegen so einer Geste dann doch niemanden für sie und er hatte so seine Zweifel, ob sie unbedingt ihn damit beauftragen würde, anstatt sich solch eines Problems einfach selber anzunehmen.

Derart in Gedanken versunken lief Marlon fast Igraine um, die ihm elegant aus dem Weg ging. Sie lächelte ihn an, auch wenn es irgendwie ein ganz klein wenig nachsichtig wirkte. Der Mafiosi fühlte sich unfreiwillig an seine Nonna erinnert und erwartete fast, dass Igraine ihm jetzt zärtlich in die Wange kniff, aber nichts dergleichen geschah. "Guten Morgen." "Morgen, Aaron. Lukas meinte gerade, ich soll dich aufwecken, aber ich dachte mir schon, dass du irgendwo hier bist. Er ist in seiner Kajüte und wartet auf uns. Kommst du?" Marlon nickte nur und verzichtete darauf, sie zu korrigieren. Im Moment gab es wirklich wichtigeres zu tun. Zum Glück hatte er seine neue Krawatte, meerblau mit hellen Streifen, sowie sein neues Parfüm bereits aufgetragen, sodass er sich nur noch einmal durch die Haare gehen musste und bereit war, vor seinen Kapitän zu treten.

Der Aufenthalt in der Kapitänskajüte war kurz, doch Marlon lernte dennoch einiges daraus. Unter anderem, dass der Vicomte Schach spielte. Und das, wenn Marlon sich die Figuren ansah, garnicht einmal schlecht, wenn auch extrem agressiv. Doch das jetzt zu kommentieren wäre fehl am Platze gewesen. "Ich hoffe nur, er geht mit uns nicht so um wie mit seinen Figuren", dachte der Koch ruhig bei sich, während er seine Krawatte richtete und Lucian zuhörte. Nicht dass er den Tod fürchtete, aber ein Bauernopfer zu werden hielt der Koch dann doch für unter seiner Würde. Eine ziemliche Ironie, bedachte man dass er sich als Diener definierte.

Immer drei Schritte hinter Lucian folgte Marlon seinem Kapitän und sah sich wachsam um. Die Straße nach Dorf 2 war gut ausgebaut, doch wie der weißhaarige Kapitän auch schon bemerkt hatte extrem künstlich und sehr auf Symmetrie ausgelegt. Was Marlon, wie auch am Vortag, nur zupass kam. So musste er sich nicht ganz so viel merken. Auf die Ausführungen zum Thema Essen und bevorzugte Behandlung antwortete er mit einem Nicken. "Verstehe. Ganz wie du willst, Lucian, ab sofort koche ich ein wenig heimeliger. Ich kann es kaum erwarten dich mit etwas schön warmem zu verwöhnen das cremig in deine Kehle läuft." Für seine Nachtische war er schon damals auf Cosa Nostra berühmt gewesen.
 

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Um die Wahrheit zu sagen, hätte Igraine relativ wenig dagegen, als Bauernopfer zu dienen, solange dieses zwangsläufig dazu führte, dass das Ziel erreicht wurde. Ihr Ziel wohlbemerkt, denn ob nun eine Insel mehr oder weniger im North Blue brannte, war ihr relativ egal. Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht, weil immerhin auch aus Feuer ein Neuanfang werden konnte, aber da sie die Situation auf Lucians Heimatinsel nicht einschätzen konnte, war sie mit Urteilen in diese Richtung gehend vorsichtig. Schach selbst war ihr allerdings nicht bekannt, weswegen es für sie noch einen Ticken befremdlicher wirkte, wie der Weißhaarige vor einem karierten Feld saß und auf kleine Glasfiguren starrte, scheinbar nachgrübelte und dann schließlich eine davon verschob. Vielleicht handelte es sich dabei ja um eine meditative Technik, immerhin hatte sie schon die abstrusesten Sachen mit diesem Grund legitimiert gesehen. "Was genau tust du da...?", hatte sie deswegen gefragt, bevor sie jedoch genickt und sich in Richtung Marlon aufgemacht hatte. Sie erwartete zwar nicht, dass dieser noch schlief, aber man konnte ihn dennoch auf den Plan rufen, selbst wenn sie nicht ganz verstand, warum Lucian unbedingt auf seinen vier Buchstaben sitzen und kleine Püppchen anstarren musste. Vielleicht war das ja auch eine Art Spiel und die weißen und schwarzen Figuren waren sein Ersatz für Puppen samt Haus - nur dass sie halt ein wenig seriöser aussahen. Was Lucian wohl dagegen hatte, nachts durch die Straßen einer Insel zu schlendern, ob er sie nun kannte oder nicht? Immerhin hatte Igraine bisher eher den Eindruck bekommen, dass der Weißhaarige die Person war, vor der eine Mutter ihre Kinder zu warnen versuchte, obgleich er in Igraines Schilderungen immer ein wenig dreckiger und zahnloser rübergekommen war. Wovor hatte Lucian schon Angst, was sollte schon groß passieren? Er war ja trotz langer Haare nicht einmal weiblich, womit schon einmal eine ganze Ecke an potenziellen Bedrohungen ausfiel und vor der Dunkelheit selbst würde er sich doch bestimmt nicht fürchten, oder? Sie selbst empfand Dunkelheit eher als Schutz... Allerdings würde sie ihm da sicher nicht reinreden, denn es war ihr egal, wann sie was auf dieser Insel taten, immerhin handelte es sich hierbei nicht un ihre Baustelle. Marine hatte sie auf dieser Insel bisher noch nicht gesehen und solange die nicht auf den Plan trat, machte sie sich keine großen Gedanken um ihr weiteres Vorgehen.

Nachdem sie Marlon Bescheid gesagt hatte (der seinen Namen nicht korrigiert hatte, hatte sie dieses Mal etwa richtig gelegen? Wow, das wäre schnell gewesen, wie hatte sie ihn gleich genannt...?), machte sie einen kleinen Abstecher in den Lagerraum, setzte sich an ihren provisorischen Tisch und setzte die halbfertigen Stachelbomben zusammen, die noch herumlagen. Es dauerte nicht lange, da sie bereits zur Hälfte fertig waren und sie an schnelles Arbeiten gewöhnt war, sodass sie nach einer halben Stunde mit zwei mehr oder minder voll gepackten Taschen abmarschbereit war. Darin befindlich: Zwei Pistolen Marinestandard, Handschuhe, Sprengstoff in unterschiedlichen Formen und schmückendes Beiwerk, wie beispielsweise Bonbons. Sie zog ihren Schal ein wenig enger um ihren Hals, rieb kurz darüber und wartete danach darauf, dass Lucian sein wie auch immer geartetes Spiel beendete, was er schließlich auch tat, indem er eine der größeren, weißen Figuren hinlegte. Aaaha. Alles klar, wenn das mal nicht logisch war.
Es wurde sich auf die Socken gemacht, wobei das Verhalten der drei wohl nicht unterschiedlicher hätte sein können. Da war Lucian mit Ziel vor Augen, Marlon, der beinahe standesbewusst immer ein paar Schritte hinter ihm ging und schließlich Igraine, die eher den Anschein einer Touristin machte, weil sie ihre Augen nicht von der Umgebung lassen konnte. Das hier war aber auch etwas vollkommen neues, denn obgleich sie schon einiges an Erfahrungen in ihrem Leben gesammelt hatte, positiver Natur waren die wenigsten davon gewesen. Erst als Lucian plötzlich stehen blieb und sich umdrehte, löste sie ihren Blick von dem sie umgebenden Grün, das sie sich fragen ließ, ob es wohl an dieser Insel lag, dass sie alle so symmetrisch wuchsen. Vergleichswerte hatte sie zwar nicht, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Baum so akkurat dahin wuchs, wo es für menschliches Empfinden passen würde. Mit einigermaßen interessiertem Gesichtsausdruck hörte sie sich an, was der schwerttragende Weißhaarige zu sagen hatte - und hoffte auf halbem Wege, dass man ihr nicht ansah, dass sie es ziemlich rührend fand. Es war irgendwie knuffig, dass er darauf bestand, dass sie ihre Mahlzeiten zusammen einnehmen sollten, auf eine Art, die sie ihm jetzt nicht unter die Nase reiben würde. Er erinnerte sie ein wenig an ein kleines Kind, für welches das Abendessen etwas von einer sozialen Zusammenkunft hatte - na, solange er nicht darauf bestand, auf jemandes Schoß zu sitzen, würde sie sich sicherlich nicht beschweren. Wenn es ihn glücklich machte... Marlons Kommentar wurde derweil mit einem leicht quälenden Gesichtsausruck und einem "Ich hoffe dabei ist dann aber keine Anwesenheitspflicht?" bedacht, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob das alle Anwesenden verstehen würden.
Lucian hatte derweil auch von Vertrauen geredet, was ein großes Wort war. Igraine hatte über die Jahre gelernt, dass es gut war, sich auf andere verlassen zu können, aber dass es zu tatsächlichem Vertrauen meist nicht reichte. Jemandem zu vertrauen bedeutete ihrer Ansicht nach, demjenigen sein Leben überantworten zu können, ohne sein Ableben zu befürchten, aber diesen Schritt hatte sie persönlich in ihrem Leben selten gemacht und war dabei meist enttäuscht worden. Vertrauen konnte man jemandem nur, wenn man ihn ganz genau kannte, insofern war Lucians Ansatz sicherlich der Richtige, aber sie bezweifelte, dass sie ihm oder er ihr vertrauen würde. Dafür gab es einfach zu viele Variablen, die zumindest von ihrer Seiten wohl offen bleiben würden. Sie zog die Augenbrauen hoch, blinzelte, als würde sie kurz nachdenken. Es hatte eigentlich keinen Grund, dass er ihren Namen nicht wusste, denn es hatte sich einfach so ergeben - mehr um ihn zu ärgern, als aus wirklichem Grund. "Lynn-Igraine Aericura. Aber Igraine reicht vollkommen." Es war ja nun nicht so, als sei ihr Name auch nur halb so verräterisch wie derjenige ihres Gegenübers... obgleich sie den schon wieder vergessen hatte.
 
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Lucian

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Es gab da eine Ader, direkt über seiner Augenbraue, die immer ein wenig stärker zu pochen begann, wenn Igraine etwas in der, sie repräsentierenden Art, sagte. Wenn die bleiche junge Frau noch sehr lange Mitglied ihrer Gruppe bleiben würde, bestand durchaus die Gefahr, dass jene spezifische Ader irgendwann platzen würde. Fürs erste jedoch schloss Lucian auf den Kommentar der Waffenmeisterin hin, nur die Augen und atmete zwei mal tief ein. Ruhig bleiben. Es wäre absolut verwerflich, wenn er eine gute Bombenlegerin verlieren würde, nur weil er ihr aus versehen irgendwann den Schädel zerschmetterte. Als er die Augen wieder öffnete, zwang er sich selbst ein Lächeln ins Gesicht und jeder konnte sofort sehen, dass er das nicht besonders gut konnte. Wenn er ernst rein blickte wirkte er doch deutlich sympathischer und sei es nur, weil er dann nicht wie ein Wahnsinniger aussah. "Selbstverständlich wird dich niemand zwingen. Noch nicht ..." Die letzten beiden Wörter hatte er so leise zu sich selbst geflüstert, dass sie bestimmt niemand verstanden hatte und da er sich gleichzeitig wieder umgedreht hatte um weiter zu gehen, war auch keine verdächtige Lippenbewegung erkennbar gewesen. Während sie weiter liefen stellte sich die Waffenmeisterin auch endlich einmal förmlich vor und Lucian zeigte mit einer Armbewegung an, dass er den genannten Namen vernommen hatte. "Ich glaub ich bleibe bei Gretchen," meinte er jedoch nach ein paar Schritten, "zumindest bis du dir Marlons und meinen Namen gemerkt hast."

Sie waren einige Stunden unterwegs, als sich die Umgebung endlich ein wenig änderte. Die ganze „Natur“ durch die sie bisher gegangen waren hatte sich zwar immer mehr verdichtet, aber das in einem so dezenten und geradlinigen Maß, dass es schwer war, es zu bemerken, wenn man nicht darauf achtete. Bisher war die schlichte Straße das einzige wirkliche menschliche Merkmal gewesen, doch nun verbreiterte sich der Pfad zu einem kleinen Platz, in dessen Mitte sich ein kleines Wirtshaus befand. Nichts besonderes, ein schlichtes Backsteingebäude mit Strohdach. Das einzige besondere war das große Schild mit der Aufschrift „2 – 3“ direkt über der Tür. Und vor genau diesem Schild Stand Lucian jetzt seit gut zwei Minuten. "Heißt das jetzt, dass wir die halbe Strecke geschafft haben?" fragte er schließlich und deutete mit dem Daumen über die Schulter zum Haus. Es war das erste Gebäude auf dieser Insel, dass kein symmetrisches Gegenstück in Blicknähe hatte, obwohl es selbst durchaus in der Mitte gespiegelt sein könnte. Die Frage, die ihn jedoch viel mehr beschäftigte war, ob es wohl zwischen jedem der vier Dörfer eine solche Hütte gab und ob die alle vier gleich aussahen. Diese ganze Symmetrie, die auf der Insel herrschte, sprach durchaus den Künstler in ihm an. Was die Inselbewohner wohl machen würde, wenn man eines der Wirtshäuser zerstörte? Neu aufbauen oder die anderen drei anpassen? Wahrscheinlich müsste man drei abfackeln und sie würden das vierte für die Synchronisation selber zerstören. Aber wie würde man die Ruinen alle gleich gestalten, am besten die Wracks in sich auch noch symmetrisch? So viele Fragen, so wenig Zeit.

Schließlich beendete Lucians Magen die Denkspielchen mit einem lauten Grummeln. Es war bald Mittagsstunde und wenn seine Theorie mit der halben Strecke stimmte, dann würde es noch etwas dauern, bis zum Dorf 2. Vielleicht sollten sie eine kurze Pause einlegen. "Wie sieht es aus Marlon, möchtest du mal selber bedient werden?" Bestimmt hatte der Küchenmeister selber irgendetwas mitgenommen, aber Lucian hatte irgendwie keine Lust, immer alles, was mit Verpflegung zu tun hatte, auf Marlon zu laden. Ohne auf eine Antwort zu warten, überwand er die wenigen Schritte zur Tür und öffnete diese. Das erste was auffiel war, dass im Gegensatz zu der Kaschemme von Gestern, hier sehr gute Luft herrschte. Der Raum war nicht groß, aber gemütlich, wenn auch rustikal eingerichtet. Alles so weit ganz in Ordnung. Dann bemerkte der Vicomte den – beziehungsweise die – Besitzer des Ladens. Ein kleiner, rundlicher Mann mit Glatze und einer Schürze stand links von der Tür an einer kleinen Bar und unterhielt sich mit einer größeren, knochigen Frau. Und auf der rechten Seite stand das selbe paar ein zweites mal. Kaum fiel die Tür hinter den drei Inselbesuchern ins Schloss, wandte sich alle Aufmerksamkeit auf Lucian, Marlon und Igraine. „Willkommen –“ „- in Wirtshaus -“ „-Nummer 3!“ „Nein, Nummer 2!“ Die beiden dicklichen Wirte waren sich zuerst immer wieder ins Wort gefallen, während sie langsam näher kamen. Jetzt hatten sie sich an den Kragen gefasst und schienen kurz vor einer Prügelei zu stehen. Da kamen aber auch schon die beiden Frauen mit vielen „Willkommen, Willkommen,“ herbei, die eine griff Marlon an der Schulter, die andere Igraine und bugsierten ihr jeweiliges Opfer auf eine Seite des Gasthauses, dass tatsächlich durch eine Linie in der Mitte geteilt war. Lucian blieb erst einmal einfach stehen und lies die Situation auf sich einwirken."Ich bin mir gerade nicht sicher, ob es wirklich klug war, hier rein zu kommen."
 
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Die Symmetrie dieser Insel ging wirklich bis ins kleinste Detail, wie Marlon beeindruckt feststellte. Nicht nur jedes Haus und jede Straße, sondern auch jede Pflanze, jeder Stein und sogar jede Person schien hier stets in gespiegelter Ausführung vorhanden zu sein, wenn man sich an die jeweils richtige Stelle der Insel begab. Das war sicher enorm verwirrend, wenn man jemanden suchte, aber ansonsten ungeheuer praktisch, wie er bereits mehrfach für sich festgestellt hatte. Doch natürlich musste es irgendwo einen Punkt geben, wo diese Gemeinsamkeiten aufeinander trafen, möglicherweise sogar mehrere, und so einen hatten sie jetzt erreicht.
Lucians Einladung hatte Marlon mit einem kurzen Nicken angenommen. Tatsächlich war ihm durchaus nach etwas zu essen und auch wenn er tatsächlich ein einfaches Lunchpaket mitgenommen hatte, so hieß das ja nicht, dass er es sofort essen musste. Tatsächlich wäre es klüger, etwas anderes zu essen so lange es ging, damit man das Lunchpaket für Notfälle dabei hatte. Und außerdem, wie hatte sein Kochlehrer immer gesagt? Von jedem Koch kannst du etwas lernen. Und wenn es auch nur etwas ist, was du besser nicht tun solltest. Also hinein!

Kaum dass die beiden identischen Wirtspaare sich vorgestellt hatten, bereute Marlon seine, oder viel eher Lucians, Entscheidung sofort wieder. Mit dieser Doppelsprechmasche trieben diese vier ihre Gäste bestimmt fast in den Wahnsinn. Es sei denn natürlich, Symetrianer mochten das, was sich der Cosa Nostraner aber nur ausgesprochen schwer vorstellen konnte. Dennoch waren sie jetzt nun einmal hier und er machte gute Mine zum bösen Spiel und ließ sich von einem der Pärchen zu einem Platz zerren, der exakt spiegelbildlich zu dem war, an dem Igraine jetzt saß. Etwas unsicher, was er davon halten sollte, zog der Koch eine Augenbraue hoch und griff nach einer der Speisekarten, die auf dem Tisch lagen, um diese eingehend zu studieren. "Das Spiegelfilet ist sehr gut!", fiel der glatzköpfige Wirt Marlon in die Gedanken, was dieser mit einem kurzen, ruhigen Nicken quittierte. Wenn der Chef des Hauses ein Gericht empfahl konnte das zwei Dinge bedeuten: Entweder es war wirklich gut oder aber es lag schon seit einer halben Ewigkeit herum und man wollte es endlich loswerden, mit Vorliebe natürlich an einen gut zahlenden Gast, der höchstwahrscheinlich nicht noch einmal wiederkam. Und Marlon vermutete bei diesen Leuten eher Zweiteres, zumal er und die beiden anderen die Symmetrie dieses Ortes ja wohl eindeutig störten und damit nicht in die Kategorie "erwünschte Gäste" fallen dürften. Also entschied er sich gegen den Vorschlag und bestellte die "Spiegelkartoffeln". Irgendwie schien jedes Gericht auf dieser Karte irgendwie das Wort "Spiegel" zu enthalten. Sogar die Spiegelspiegeleier.
"Ein Mal Spiegelkartoffeln, kommt sofort, der Herr!" Diensteifrig begaben der Wirt und seine Frau sich in die Küche und ließen Marlon alleine, was dieser nutzte, um sich einmal durch die Haare zu gehen und Igraine ein kurzes Lächeln zu schenken. Innerlich verdrehte Marlon allerdings die Augen. "Wenn ich jemals ein Restaurant eröffnen sollte, dann werde ich es bewusst unsymmetrisch halten", hielt er gedanklich für sich fest. Alles, sogar ein bewusster Verstoß gegen grundsätzliche Gesetze der Ästhetik, war besser als das hier. Hoffentlich war das Essen wenigstens gut.
 

Igraine

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Lucians Reaktion und nicht zuletzt dessen schwellende Zornesadern zauberten Igraine ein leises Lächeln auf die Lippen. Es hätte sie nicht weniger kümmern können, wie der Weißhaarige sie zu nennen beschloss. Wenn man es recht bedachte, hatte sie ihren Namen von einer Frau erhalten, die sie irgendwo noch weniger hatte leiden können, als der cholerische Adlige. Im Grunde genommen waren ihre Mutter und Lucian natürlich in keinem Fall vergleichbar, immerhin war nur eine der beiden Personen mit ihr verwandt und sollte somit eigentlich eine recht starke Bindung zu ihr gehabt haben, aber es entsprach eher der Wahrheit, dass sie ihr beide recht egal waren, da sie nur eine sehr begrenzte Rolle zu erfüllen hatten. Traurigerweise war Igraine im Moment für Lucian wahrscheinlich wertvoller, als sie das jemals für ihre Mutter gewesen war - und das auch nur, weil das nicht viel zu bedeuten hatte. Die Bombenlegerin hatte mit der Tatsache, dass ihr Leben ziemlich wertlos war, schon vor längerer Zeit abgeschlossen... und Gretchen war vor allem dann verkraftbar, wenn man genau wusste, dass man sich eine so komplizierten Namen wie den des Weißhaarigen wahrscheinlich die nächsten Monate nicht würde merken können. Wenn das die einzige Trotzreaktion auf ihre möglichen Kreationen war, sollte sie sich wohl eher glücklich schätzen. "Wenn du das möchtest...", war daher die einzige Antwort und auch diese eher verhalten, weil Lucian bereits ins Gesicht geschrieben stand, dass er seine Selbstkontrolle gerade ausreizte. Ein sehr unterhaltsamer Zustand, aber es lag weder in ihrem Interesse, noch machte es ihr über die Maßen viel Spaß, den Blutdruck des jungen Mannes zu erhöhen.

Igraines anfängliche Faszination von der Natur um sie herum nahm mit der Zeit ab und verlegte sich darauf, wie perfekt die Ordnung an diesem Ort zu sein schien. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass etwas so symmetrisch wuchs, ohne dass Menschen darauf Einfluss genommen hatten. Es würde sie sicherlich nicht stören, wenn das der Fall gewesen war, denn wenn es schon nicht naturbelassen war, so war diese Art der Manipulation positiver Art. Da, wo sie herkam, war jedes einzelne Trümmerstück, jeder Dreckklumpen und jede ausrangierte Handgranate Beweis für die Zerstörungswut, die hinter menschlichem Handeln stecken konnte, während diese Ordnungsliebe eine ganz andere Geschichte von Schaffung und Bewahrung erzählte. Igraine war zwar kein besonders großer Fan von Symmetrie, aber in diesem Moment konnte sie nicht umhin, sie zu bewundern. Wenn man die negativen Gegenstücke kannte, wurde plötzlich alles viel schöner. Das einzige, was ihr nicht gefallen wollte, war ihr inzwischen bereits ein wenig ausgeuferter Marsch, denn wenn es eine Sache gab, die sie wirklich nicht hatte, war das Ausdauer. Nicht, dass sie es nicht versuchen würde, denn wenn dies ein rein geistiger Marathon wäre, würde nichts in der Welt sie aufhalten können... aber so langsam bemerkte sie, wie die Luft um sie herum dicker zu werden schien. Vielleicht mochte das ja tatsächlich der Fall sein, vielleicht näherten sie sich einer verrauchten Stadt - aber Igraine glaubte es eigentlich nicht. Erstens war diese Insel so symmetrisch, dass sie eine perfekt gespiegelte Kopie des anderen Dorfes erwartete und zweitens war es viel wahrscheinlicher, dass sie einfach schlechter Luft bekam. Das passierte nicht gerade selten und es war eher eine Frage der Zeit gewesen, bis es sie mal wieder erwischte. Die Seeluft schien ihr gut zu tun, aber hier an Land war es eine ganz andere Geschichte. Sie räusperte sich, leise, kaum vernehmlich und schob ihre Hand in eine der beiden Taschen an ihrer Seite. Kurz darauf schob sie sich das gebogene Mundstück eines Tascheninhalators zwischen die Zähne und atmete zweimal ruhig ein, ehe sie ihn wieder zurück steckte. Selbstverständlich trug sie mehr als ein Exemplar dieses für sie überlebensnotwendigen Gegenstandes mit sich herum, aber dennoch achtete sie darauf, ihn wieder gut zu befestigen. Lucians Wunsch nach Speise und Trank ließ sie unkommentiert, denn Essen war ihrer Meinung nach grundsätzlich immer gut.

Das Restaurant wiederum war... mindestens einmal irritierend. Das beste, was sie allerdings dafür auch auf Anhieb bemerkte, war wohl noch die seltsam frische Luft, die in ihm herrschte, und die das ziemliche Gegenteil von dem war, was sie erwartet und gefürchtet hatte. Was war der schlimmste Feind gegen etwas, das im eigenen Körper hauste? Ein statisches Lächeln kräuselte ihre Lippen, als die beiden Wirte auf sie einzureden begannen und sie ließ sich schließlich ohne Widerstand zu leisten mitziehen, was sie am Ende in unnatürlich steifer Haltung auf einem Stuhl hinterließ, von dem sie Marlon, der ihr auf der anderen Seite des Raumes ganz genau gegenüber saß, einen kurzen Blick zuwarf, ehe sie den Tisch vor sich anstarrte. Hey, es war ein schöner Tisch, das musste man ihm zugestehen. Er war beinahe schwarz und hatte eine feine Maserung, die - wie hätte es auch anders sein können - vom Zentrum aus vollständig derjenigen auf der anderen Seite glich. Kurz war sie versucht, aufzustehen und Marlons Tisch zu untersuchen, aber schließlich verkniff sie es sich und inhalierte stattdessen nur zwei Züge honigduftenden Dampf ein. Einen Moment musste sie schmunzeln und blickte sich dann zu Lucian um. Wo wollten die Damen und Herren den großen Anführer eigentlich platzieren, um die Symmetrie nicht zu stören? In die Mitte, sodass seine Nasenspitze genau auf der Linie saß? Und wer würde ihm dann Essen aufschwatzen? "Ähm..." Sie hatte gar nicht bemerkt, dass auch sie eine Speisekarte gereicht bekommen hatte, "Ich hätte gerne...", doch der Kellner warf einen kurzen Blick zu Marlon und schnappte die Karte wieder zurück. "Spiegelkartoffeln, sehr wohl!" Kurz war Igraine baff, dann verstand sie. "Aber bitte mit extra viel Pfeffer!", rief sie ihm hinterher und wunderte sich im selben Moment, wie sie dieses Etablissement finanzierten.
 

Lucian

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Fürs erste lies Lucian den Moment einfach auf sich einwirken, während seine beiden (einzigen) Gefolgsleute einfach auf gegenüberliegende Seiten des Schankraums gezogen wurden. Einzeln wurden sie zwar – mehr oder weniger – freundlich behandelt, aber es war kaum zu übersehen, dass die beiden dürren Bardamen sich gegenseitig bissige Blicke zuwarfen und die beiden dicklichen Wirte trugen jeweils ein blaues Auge von der vorausgegangenen Handgreiflichkeit davon. Daher herrschte im Raum eine deutlich spürbare Spannung, auf die Lucian durchaus hätte verzichten können. Die Situation wirkte ebenso surreal wie die „Natur“ dieser Insel und inzwischen hatte er alle Lust verloren, länger als nötig hier zu bleiben. In der Zeit, in der Marlon sich seine Spiegelkartoffeln bestellte und Igraine das Spiegelbild davon „bestellt bekam“, hatten sich die beiden Wirte einigermaßen beruhigt und konzentrierten ihre Aufmerksamkeit nun auf den einzigen Gast, der noch in der nähe der Tür stand. Die Ausdrücke, welche die beiden in ihren Gesichtern trugen, gefiel dem Adeligen allerdings überhaupt nicht, ebenso wenig wie die Art, wie sie ihre Hände aneinander rieben. Als sie beide vor ihm standen, sahen sie sich gegenseitig in die Augen und dann griff jeder nach einem von Lucians Armen und begannen zu ziehen. Jeder wollte den Weißhaarigen auf seine Seite des Lokals kriegen und so führten sie etwa zehn Sekunden lang eine Art bizarren Tauziehwettstreit auf. Das war im Grunde schon eine sehr lange Zeit für die kurze Toleranzspanne, über welche der Vicomte verfügte. Dann jedoch war es ihm genug und das zeigte er auch. Sogar freundlich. "Wenn es euch nichts ausmacht würde ich euch bitten diesen Schwachsinn zu lassen, bevor ich euch SÄMTLICHE KNOCHEN BRECHE!" Gut, zumindest teilweise freundlich.

Der plötzliche Wutausbruch führte dazu, dass die beiden, kleinen Fettsäcke ihn los ließen und zurückschreckten. Selbst der nervöse Blick, den sie nun teilten, war vollkommen identisch. Fast hätte der Vicomte darüber gelacht, wenn die Situation ihm nicht so gegen den Strich gehen würde. Ohne weitere Worte ging Lucian zum, ihm am nächsten stehenden, Tisch und umklammerte diesen mit beiden Händen. Ohne auf die Bereiche zu achten hob er das Möbelstück empor und trug es dann zu der breiten Linie, welche die beiden – nun nicht mehr ganz so – symmetrischen Restauranthälften trennte. Die Wirtsdamen schienen bei dem Anblick einer Ohnmacht nahe zustehen, aber darauf gab er nichts. Als nächstes zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich vor Kopf an den Tisch, direkt auf die Linie. Wenn die Leute auf dieser Insel schon soviel Wert auf Synchronität und Spiegelbilder setzten, dann hätten sie wenigstens daran denken können, Sitzoptionen für ungerade Gruppengrößen aufzustellen. Im Grunde war das alles hier mehr als lächerlich, aber da Lucian sowohl etwas zu essen haben wollte, als auch mit seinen Leuten zusammen zubleiben, spielte er zumindest teilweise mit.

Mit ausdrucksloser Miene breitete er die Arme aus und deutete auf die beiden freien Tischseiten zu seiner linken und rechten, während er zuerst zu Marlon und dann zu Igrain blickte. "Möchtet ihr euch vielleicht noch einmal umsetzen, bevor euer essen kommt?" fragte er nun wieder deutlich ruhiger und nahm selbst eine der beiden Speisekarten entgegen, die ihm nun von beiden Seiten aus angereicht wurden. Während er das Angebot studierte, konnte er aus den Augenwinkeln mit verfolgen, wie die beiden Wirte tatsächlich zusammen arbeiteten und den nun nicht mehr symmetrischen Tisch ebenfalls auf die Mittellinie trugen. Dass grenzte ja schon an Zwanghaftes verhalten! "Ich nehme die Spiegelspiegeleier mit Parallelspeck," meinte er schließlich, klappte die Speisekarte zusammen und faltete die Hände auf dem Tisch. Hoffentlich war das Essen wenigstens genießbar.

Die Wirte verschwanden nun allesamt in die Küche, um sich um das bestellte Essen zu kümmern. Selbstverständlich klappte das nicht ganz so geordnet, wie in einem richtigen Restaurant, denn fünfzehn Minuten später standen zwar vor Marlon und Igrain jeweils ein Teller, aber selbstverständlich hatte jeder der Wirte es für nötig empfunden, Lucian seine Spiegeleier zu machen. Da er zuvor die rechte Speisekarte genommen hatte, zog er nun den linken Teller an sich heran und ließ den rechten kommentarlos wo er war. Seine Stimmung stieg immerhin nach dem ersten Bissen, als sich die Mahlzeit tatsächlich als gut herausstellte, auch wenn er sich sicher war, sein eigener Koch hätte es mindestens genauso gut hin gekriegt. Es schmeckte und das war im Augenblick alles was zählte. "Das ist das erste auf dieser Insel, dass mir tatsächlich gefällt," kommentierte er zwischen den Bissen.

Die kleine Glocke über der Tür klingelte und kündigte neue Besucher an, was sofort die Aufmerksamkeit der Gastwirte auf sich linkte. „Willkommen –“ „- in Wirtshaus -“ „-Nummer 3!“ „Nein, Nu...“ Das plötzliche verstummen der Begrüßung veranlasste Lucian, seine Mahlzeit zu unterbrechen und einen Blick über die Schulter zu werfen. Was er sah erklärte nicht nur, warum der Wirt aufgehört hatte zu reden, sondern raubte ihm auch jeden weiteren Appetit. Im Eingangsbereich standen drei Männer. Lucian hatte schon vieles gesehen, aber etwas wie den Kerl in der Mitte war ihm noch nicht unter die Augen gekommen. Das gesamte Gesicht und alles an Haut, das zusehen war, war vernarbt. Die nackten Arme schienen mit Bissspuren nur so übersät zu sein, vor allem die Unterarme und Hände. Aber das wirklich widerliche waren die Lippen und die Augenlider. Genauer gesagt das Fehlen eben jener. Man hatte freien Blick auf die Zähne und das Zahnfleisch und Augäpfel wirkten extrem groß und ... gelb. Beim genauen hinsehen hatten das auch die beiden weniger abscheulichen Typen gemein, pissgelbe, stark geäderte Augeäpfel und zittrige Hände. Sie waren gekleidet wie Seeleute, vielleicht Kopfgeldjäger oder Piraten. Nur dass sie dreckig wirkten und ihre Outfits mit fragwürdigen Accessoires dekoriert hatten. Lucian blinzelte. Einer der Kerle hatte sich abgeschnittene Hände mit Fleischerhaken an den Gürtel geheftet. Sie alle hatten außerdem Waffen dabei. „Hunger!“ murmelte der Kerl mit den Händen leise und begann manisch zu Kichern. Dafür kassierte er einen Schlug von dem ohne Augenlider, der anscheinend der Anführer war und nun das Wort ergriff. „Wir wollen Fleisch!“ Im Hintergrund wiederholte der dritte mehrmals das Wort Fleisch, als sei es die Pointe eines besonders guten Witzes. Dafür kassierte nun auch er einen Schlag und verstummte augenblicklich.

Einer der Wirte verpasste dem anderen einen Stoß und den Rücken, woraufhin der getroffene einen erschreckten Schritt nach vorne machte. Er warf seinem Bruder, Klon, Was-Auch-Immer einen bösen Blick über die Schulter zu und zücke dann eine Speisekarte aus seiner Schürze. „Wi- Wir haben ein au- ausgezeichnetes *gulp* Spiegelfilet ...“ meinte er und streckte die Karte nach vorne. Aber die ganze Art, wie die drei Unbekannten sich verhielten, verrieten Lucian bereits, dass sie bestimmt nicht wegen der Empfehlung des Tages hier waren. Und er wurde nicht enttäuscht, als der Anführer die Karte einfach weg schlug. „Du siehst nicht lecker aus, aber du hast VIEL Fleisch. Das macht satt. Und wir müssen es nicht teilen.“ Er blickte sich im Raum um, begutachtete die vier Wirtsleute und dann die drei Gäste mit ihren Spiegelgerichten. „So viel Fleisch für uns!“ Dem Anführer lief das Wasser im Mund zusammen, was auch jeder sehen konnte, denn der Sabber lief ihm die verstümmelten Lippen herunter. Die beiden im Hintergrund begannen wie Wahnsinnige zu kichern.

Lucian schob seinen Teller von sich weg. "Mir ist der Appetit vergangen. Sollen wir einfach gehen oder vorher den Müll raus bringen? Eure entscheidung."
 
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Marlon hätte über die klaren Worte seines Kapitäns beinahe geschmunzelt, doch zum Glück wusste er, wie humorlos der weißhaarige Adelige war, wenn es an seine eigene Person ging. Mit professioneller Zurückhaltung nickte er daher nur auf Lucians Frage, ob er und Igraine sich nicht noch einmal umsetzen wollten und ließ sich zur rechten Seite seines Kapitäns nieder, rückte seine Krawatte sauber zurecht und faltete die Hände ordentlich auf der Tischplatte. So sehr Marlon auch in der Küche herumgeschubst worden war, im Speisesaal war er der perfekte Gast. Er wartete einfach geduldig auf sein Essen, beleidigte niemanden und drohte auch keinem vom Personal körperliche Gewalt an. Auch wenn er Lucians.. ruppige Antwort auf die Marotten der Insulaner durchaus verstehen konnte. Es war auf Dauer wirklich ein wenig irritierend, wie symmetrisch sie alles erledigten, egal ob es Sinn machte oder nicht. Andererseits, wer war er schon, fremde Sitten und Gebräuche einfach so zu verurteilen. Und so lange das Essen gut schmeckte, sollte es ihm recht sein.

Kaum dass Marlon sein bestelltes Essen serviert wurde, machte er innerlich ein kleines Häkchen auf einer säuberlich geführten mentalen Liste. Das Essen hier schien gut zu sein und nach dem ersten, vorsichtigen Bissen nickte der Koch zufrieden. Trotz ihres Symmetrieticks waren die beiden Wirte enorm gute Köche und auch Lucians positives Urteil von der Bewirtung schien die Spannung ein wenig zu lockern. Gerade überlegte Marlon, ob er vielleicht ein wenig Konversation betreiben sollte, als die drei eintretenden Gestalten ihn ablenkten.
Auf Cosa Nostra aufzuwachsen hatte den Vorteil, dass man so schnell nicht die Fassung verlor. Der ungehobelte Gast im Restaurant konnte ein Mafiosi sein, das verzogene Gör, dem man verbal den Hintern aufriss der Nachkomme eines Dons, sodass man lernte, die eigene Zunge in Zaum zu halten, oder eben nicht sehr lange überlebte. Diesem Umstand war es zu verdanken dass Marlon seine Meinung zu den ungepflegten und eindeutig nicht sonderlich friedlichen Gestalten für sich behalten konnte und einfach weiter aß, wenn auch mit wachsamen Blicken in Richtung des Wortführers. Erst als Lucian seine Meinung zu den drei Gestalten loswurde, erdreistete sich Marlon zu sprechen.

"Ich denke, die Herren werden uns ohnehin nicht so einfach gehen lassen", meinte er ruhig, wobei er seine Krawatte richtete. "Und wenn doch, werden sie uns vermutlich folgen. Ich habe jedenfalls nicht vor, solche Begleiter einfach zu zu lassen, sie sind viel zu auffällig." Die ungepflegten, vor Mordlust regelrecht flirrenden Gestalten blickten zu dem Koch, der seine Stimme während dieser Meinungsäußerung nicht gesenkt hatte, und grinsten dreckig. "Wie wärs, wenn wir den da essen? Er riecht wie eine Frau, vielleicht ist er ja auch so zart, hmmm?" Bei jedem anderen Menschen hätte Marlon einen ziemlich plumpen Einschüchterungsversuch vermutet, doch diese Gestalten schienen es ernst zu meinen. Ruhig klopfte der ehemalige Mafiosi mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand auf das Holz des Tisches, wobei sein Blick jeden der Männer kurz taxierte. "Vorsicht, die Herren. Ich habe schon aus geringeren Gründen getötet. Ohne Befehl."
Normalerweise wirkte Marlon Barino ruhig, höflich, aber nicht sonderlich auffällig, doch diese Worte gaben ihm für einen kurzen Moment eine ganz andere Ausstrahlung. Sicher, in der Mafia war er nicht länger willkommen, doch Marlon war immer noch ein geübter Attentäter, der ohne Reue Leute ins Jenseits beförderte wenn er den Befehl dazu bekam oder sie seinem Auftrag im Wege standen. Und während dieser Worte spürte man es regelrecht. Er mochte ja einen Anzug tragen, ordentlich frisiert und parfümiert sein, doch darunter war Marlon ebenso brutal wie der vor ihm stehende Vicomte. Und vermutlich bedeutend skrupelloser. Denn wo Lucian sich von seinen Gefühlen leiten ließ, war es bei Marlon eiskalte Berechnung.
 
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